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Full text of "Baudelaire und Verlaine: Gedichte"

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FROMTHE-LIBRARYOF 
• KONRAD- BURDACH* 





Baudelaire und Verlaine. 

Gedichte. 



übertragen und eingeleitet von 

Paul Wiegler. 

Mit Buchschmuck von Edmund May. 




Berlin 1900. 

B. Behr's Verlag (E. Bock). 

Stegflitzerstr. 4. 



Druck von Max Schmersow vomi. Zahn & Baendel, 
Kirchhain N.-L. 






Seinem 

Anselm von Canterbury 

der Sehüler Osbern. 



m3;^3304 



Inhalts -Verzeichnis. 



Seite 
Einleitung. 

Baudelaire. 

Einklänge .... 3 

Das Leben vor dem Sein 4 

Das schlechte Los 5 

Die Schönheit 6 

Das Haar 7 

Ich bete, Weib, in dir 9 

Es gleisst perlmutterlicht 10 

Der Vampyr 11 

Die Katze 12 

Der Balkon 13 

Der Duft 15 

Der Rahmen 16 

Semper eadem 17 

In Allem .18 

Was willst du sagen, Herz 19 

Umkehrung 20 

Abendharmonie 21 

Die Katze . , 22 

Einladung zur Fahrt 24 

Herbstklage .26 

Spanisches Madonnengebet 27 

Nachmittagsgesang 29 

Moesta et errabunda :ii 



Vi 



Seite 

Der Wiederkehrende 33 

Die Musik 34 

Spleen 35 

Trauriges Madrigal • 3^ 

Der Springbrunnen 38 

Ikanisklage 40 

Ruhe 41 

Nebel und Regen 42 

Land des Traumes 43 

Verlaine 45 

Saturnische Gedichte. 

Nevermore 47 

Nach drei Jahren 48 

Wunsch 49 

Ermatten 50 

Mein Lieblingstraum 51 

An eine Frau 52 

Sonnenuntergang 53 

Mystisches Abenddämmern 54 

Sentimentaler Gang 55 

Herbsthed 56 

Schäferstundc 57 

Die Nachtigall 58 

Weib und Katze -59 

Lied der Naiven 60 

Serenade 62 

Schäferspiele. 

Mondschein 63 

Die Allee Ö4 

Auf der Promenade 65 

Aufzug t>6 

Die Muscheln 67 

Im Boot 68 



VII 



Seite 

Der Faun 69 

Die Gleichgültigen 70 

Der umgestürzte Amor 71 

Mit gedämpfter Stimme 72 

'Sentimentale Zwiesprache 73 

Das gute Lied. 

Schon beginnt es sacht zu tagen 74 

In lichtem Schweigen 75 

Die Landschaft saust vorbei 'jh 

Der Lampe schmaler Schein 77 

Wortlose Klänge. 

Rings das schmachtend weiche Dehnen 78 

Ich errate ferne, zage Chöre 79 

Es regnet auf die Stadt 80 

Sieh, uns beugt der Schmerz 81 

Es küsst die schmale Hand 82 

O Trauer, Trauer jj3 

Charleroi ^ . . . 84 

Brüssel 86 

Streets 87 

Weisheit. 

Erleuchtet war der Tag 89 

Nun hört des Liedes sanftes Lallen , 91 

Die lieben Hände 92 

O Gott, du schufst mir deiner Liebe Qual .... 93 

Es sprach mein Gott zu mir 95 

Wie Stroh in feuchtem Stall 98 

Kaspar Hauser singt 99 

Schwarze Traumeslast 100 

Es ruhen leuchtend überm Dach loi 

Wüsst ich nur, warum 102 

Zum Waldessaum des Hornes Rufen gellt 104 

Da seid, Gedanken, ihr 105 



Vlll 

Seite 

Einst und neulich. 

Pierrot io6 

Verfall 107 

Prolog 108 

Liebe. 

Ein Witwer spricht 109 

Fürwahr, mein Ungemach ist gross iio 

Ich bin in Liebe krank 1 1 1 



Einleitung. 



Der alte Herr mit der „halb voltairischen, halb 
klerikalen" Gesichtsmaske, der ein Vierteljahrhundert 
die Meisterschaft der französischen Kritik besass, Sainte- 
Beuve, verriet doch wohl einen recht prophetischen 
Spürsinn, als er 1857 dem Dichter der „Fleurs du 
Mal" in lehrhafter Billigung schrieb, er habe da noch 
Poesie gefunden, wo niemand sie mehr vermutet. In 
dieser nüchternen und, wenn man will, trivialen 
Formel liegt vielleicht nicht mindere ästhetische Weis- 
heit als in den rauschenden Priesterreden, womit viel 
später ein St(5phane Mallarm(5 die verschlossene Pracht 
symbolistischer Kunst feierte, Sie bringt schon allen 
seelischen Drang zum Ausdruck, der jene blenden- 
den Wunder hervorrief, sie weiss schon etwas von 
ihrer Inbrunst, die Deutung des Lebens zu erfassen 
und es nackt zu sehen, in einer toten Zeit, die mit 
gleichgültigen Worten nur Oberflächengefühle zu er- 
wecken vermochte. Es ist die Bewegung der deka- 
denten Lyrik, die damals einsetzte und zu der Ursprüng- 
lichkeit einer schöpferischen Leistung aufzusteigen 
suchte. Sie hat sich bis auf uns übertragen. 

Inzwischen ist manches ausgeglichen und zur 
Nuance geworden, was einst in unnahbarer Härte 
dazustehen schien. Die Andacht eines verirrten Gat- 
tungswülens hat in allen möglichen Manifestationen 
unsere Kunst durchsetzt, aber immer ist Baudelaire 
ihr eigensinnigster Verkünder geblieben. Wir haben 
gelernt, seine Lyrik der geschminkten Schönen mit 
den schillernden Augen und der grausamen Raub- 



tierpose aus ihrem Milieu herauszuholen*), den faden 
Nachgeschmack des bürgerlichen Paris, der gespreizten 
Litteratenallüren und armseligen Modistinnehlieb- 
schaften zu vergessen und ihn als ein Beispiel jener 
Verfrühung zu nehmen, die auch über Edgar Poes 
düstere Schlafwandlergestalt einen ungeschwächten 
Reiz für uns breitet. Wir sehen in Baudelaire die 
Vereinigung der beiden lyrischen Möglichkeiten, in 
denen die grosse Enttäuschung einen Ersatz zu ge- 
winnen strebte: der Wegkehr von dem, was entwertet 
war, zu Geächtetem und Seltsamem, und des Ringens 
nach einer Vertiefung der Leidenschaft durch ihre 
Entfernung vom Schaffenden. Er überrascht uns noch 
durch kranke Perspektiven, an die er selbst nicht glaubt, 
und die - er mit unmöglichen Farben und Umrissen 
schmückt. Alle perversen Triebe sind entfaltet, doch 
von unheimlicher Festigkeit niedergezwungen. Der 
träge Tag erscheint weggehoben, eine Landschaft dehnt 



n 



\ ' i *) Geboren zu Paris am 21. April 1821, aus wohl- 

habender Kaufmannsfamilie, bereiste Charles Baudelaire nach 
Wunsch seines Stiefvaters die Meere Ostindiens, ohne von 
diesen als Vorbereitung für den Handel gedachten Fahrten 
etwas anderes als reiche und farbenprächtige Eindrücke heim- 
zubringen. Er wurde Mitglied eines „cdnacle*' von Künstlern 
und Schriftstellern, wo er durch ein verschlossenes, geheimnis- 
volles Gebahren reizte und als Poeübersetzer sich einigen Ruf 
erwarb, bis er 1857 die „Fleurs du Mal" veröffentlichte. 
Darin enthaltene Blasphemien trugen ihm einen Prozess ein. 
In der Folge näherte er sich den realistischen Vorläufern, so 
den Malern Delacroix und Courbet, kam aber nicht über einen 
äusserlichen Kontakt hinweg. Er verfasste in Anlehnung an 
den Engländer de Quincey ein Buch über die „paradis 
artificiels" des Opium- und Haschichgenusses und schrieb 
verstreute Prosaskizzen, Nach zeitweiligem Aufenthalt in 
Brüssel brachte man ihn als Gelähmten, der Sprache beraubt, 
nach Paris zurück, wo er am 31. August 1867 starb. 



XI 

sich aus, die stärkere Kontraste hat als die gewohnten, 
und vor der die Seele erschrickt. Aber diese Wonnen 
sind durchzittert von der mühevollen Pein des Er- 
findens, das jede Unmittelbarkeit vermeidet. Seine 
gewaltsame Arbeit hat keine leisen Übergänge, sie 
atmet nicht den warmen Hauch einer reichen Phantasie 
und kann sich nur an zerstörerischen Widersprüchen 
aufrichten. Darum weist sie in allem die schwarze 
Spur des Todes nach und schwelgt in seinem un- 
fasslichen Ereignis, in anspruchsvollen Gesichten, die 
die Nacht gebärt. Mit grellen, überlauten Schreien 
löst sich die verleugnete Sehnsucht nach Friede und 
Reinheit. Baudelaires Liebe ist verstört, so ganz ent- 
fremdet dem Gottesdienst der Zeugung und von 
grüblerischer Qual entweiht. Nur durch zwei Fähig- 
keiten erreicht dieser Geist eine sinnliche Glut, die 
ihm anderswo versagt ist, durch das Tasten und den 
Geruch. Hier gewinnen seine exotischen Geberden 
den Wert einer Offenbarung, hierauf ruht auch seine 
Neigung zu den Katzen, wo er für einen Steinlen oder 
Th. Th. Heine vorbildlich werden sollte. 

In anderer Hinsicht hat er eine vollkommene 
Anschauung vorbereitet und ausgeführt. Was die 
Parnassier zu ihrem Ziele machten, die Hinwendung 
zu einer kalten, unerregten Dichtung, findet sich schon 
bei ihm. Oft verlässt er die Unwahrheit des indivi- 
duellen Fühlens zu gunsten einer Schönheit, die nur 
in architektonischen Linien sich Genüge thut, ohne 
sonst Zwecke zu kennen, und so die Macht eines 
dekorativen Gemäldes erhält. Und gerade durch diese 
Verse tönt dann der tiefe und einfache Schmerz des 
Daseins, weil er entrückt und unpersönlich geworden 
ist. Dem kommt Baudelaires ausgemeisselte Form zu 
statten, die in allseitiger Vollendung sich glättet. 



X 



XII 

Als man ihm, dem korrekten „dandy egar^ dans 
la litterature", wie ihn sein Meister, der pastose 
Tht^ophile Gautier, nannte, 1892 auf Montmartre eine 
Bronzebüste aufstellen wollte, ist in unerbittlichem 
Zorn Ferdinand Brunetiere mit ihm ins Gericht ge- 
gangen, seine Schädigungen aufzuzählen. Mit jähem 
Protest hat er in ihm die Nachgeborenen treffen wollen, 
deren sonderbare und dunkle Kunst all seine Ehrfurcht 
verletzte. Er habe die Lyrik vom Leben getrennt und 
so „la nt^gation m6me de la solidaritd" gewagt. Das 
ist derselbe letzte Antagonismus, der nun wieder 
zwischen dem Renegaten Maurice Barrys und den 
heimatiosen jungen Leuten der Moderne besteht. Aber 
gleichzeitig hat Brunetiere die Verdienste der „Fleurs 
du Mal" als eines „einzigen Buches" betont und 
gezeigt, wie auf unterirdischen Wegen ihr Satanismus 
sich zu dem symbolistischen Bemühen der neuesten 
Generation umwandelte. Die Wirkung geht aus von 
der Poesie der Düfte. Sie ist der erste Schritt in 
eine Anarchie der Instinkte hinein, weil sie sich vom 
dumpfesten der Sinne leiten liess, der die geheimsten, 
fiebrischsten Extasen der Seele bereitet. Sie giebt 
einen der Trunkenheit ähnlichen Zustand, wo die 
Empfindungen sich unter einander austauschen, ohne 
je in klarer Selbstherrlichkeit sich abzuheben. Und 
wenn Baudelaire bei diesem Ahnen stehen bleibt, ohne 
es mehr als in den weitesten Zügen zu gestalten, 
suchten die Dekadenten für jeden Wert den ent- 
sprechenden festzustellen, ein „farbiges Hören" ge- 
./ setzlich zu ordnen. Der unselige Arthur Rimbaud 

hat sich hierin erschöpft. 

So geschah allmählich die Wendung zur Musik 
als der Verkünderin des Traumes, des „vague ä Täme". 
Wie im Schlaf das Zittern des Tages noch in uns 



XIII 

webt mit diffusen und unruhigen Anklängen. Es ist 
die letzte Erkenntnis einer müden Kultur, dass wir 
uns nur erinnern können, dass Schauer und Ent- 
zücken nur in uns noch sind. Die hellen und durch- 
sichtigen Vorstellungen, das plastische Vermögen in 
uns, das mächtig die Dinge sich untenvirft, ist längst 
gewusst und ausgeschieden. Das Halbe und Gedämpfte, 
das andeutet und streift, ist, was uns am meisten 
erschüttert. Und hier ha t Paul Verlain e _ in einem wie 
sein Leben zerrissenen und erniedrigten Werke die 
Hoffnung der Dekadenz erfüllt. 

Nur schwer fugt sich dieser hilflose Mensch in 
eine Epoche, die naturalistisch zu sehen gelernt hat 
und um die tiefe Bescheidenheit undUnauff älligkeit alles 
inneren Erfahren« weiss, so melodramatisch mutet sein 
Schicksal in seinem sündigen Verlaufe an*). Er war 



\ 



i^.i 



*) Am 30. März 1844 zu Metz als Sohn eines bald verstorbenen YC^ ^ (^\ 1« < 
Gdniehauptmanns geboren, kam Paul Marie Verlaine als Kind 
nach Paris, erfuhr alles Elend französischer Internate, versuchte 
sich seit seiner Pubertät in dichterischem Schaffen. Nach 
vorübergehenden Studien auf dem Polytechnikum, Hauslehrer- 
thätigkeit und Beamtenstellung wandte er sich einer litterarischen 
Existenz zu, wo er durch frübreife Formvollendung selbst 
im Kreise der Pamassiens neben Catulle Mend^s sich aus- 
zeichnete. Zur Zeit des Krieges schloss er eine unglückliche 
Ehe, verlor den Halt, erlitt durch, sittliches Vergehen eine 
mehrjährige Gefängnisstrafe, ging ins Ausland und erschien erst 
1 880 wieder in Paris. Hier verfiel er einer durch Trunksucht 
beföiderten körperlichen und seelischen Auflösung, die ihn oft 
dem Hospital zuführte und nur selten von religiöser Stimmung 
und kindlichem Hoffen unterbrochen wurde, bis zum Jahre 1896, 
wo er am 8. Januar als gefeierter Dichter und tiefgesunkener 
Mensch verschied. Man lese vor allem seine „Confessions" 
(Neue Ausgabe 1899) und den „Verlaine intime** von Ch. Donos 
nach. Jetzt erscheinen seine „Oeuvres completes** (bisher 
3 Bände). 



XIV 

eine von unten aufsteigende Seele, die Seele eines 
Schachers, die sich in schwüler Ohnmacht verzehrte, 
in einer Gier, alles Köstliche zu umarmen, und daran 
untergehen musste. Und bizarr in rührender Häss- 
lichkeit ist auch seine körperliche Erscheinung, wie 
sie aus Carri^re's fahlen Dämpfen auftaucht, der 
struppige Bart, die flehenden Augen, der schlaffe Mund, 
der kahle Baschkirenschädel, „bossud comme un bassin 
de cuivre mince." Etwas abenteuerliches und spuk- 
haftes, widerlich und von süssem Zauber in seiner 
beleidigten Heilandstraurigkeit 

Den Tschandala in ihm hat zuerst Jules Lemaitre 
gewittert, als er 1888, sechs Jahre vor seinem Tode, 
mit einem langen Aufsatz sein Rätsel zu bewältigen 
sich anschickte. Den Nachahmern des Dichters, jenen 
zarten und stillen Jünglingen, die — in Frankreich vor 
einem Dezennium - aus unfruchtbarer Mandarinen- 
einsamkeit die Schönheit hängender Gärten und 
nomadischer Paläste besangen, war es vielleicht un- 
bequem, dass sein feinster Kritiker ihm vorwarf, er 
mache zuweilen mittelmässige Verse, die an die 
Übungen eines Gewerbeschülers oder Apothekers ge- 
mahnten. Und doch ist hier das Problem. Ausge- 
gangen von der marmornen und spröden Kunst, wie 
die Impassiblen sie nach Baudelaire erschufen, hat er 
auch die Gabe gezeigt, in galanten Versen die 
lächelnden Tanzreigen aristokratischer Stile nachzu- 
formen, bis sein Wesen sichtbar ward. Das war eine 
gesteigerte Aufnahmefähigkeit fiir alles Dämmrige und 
kaum Verstandene. Er war kein kluger Artist, er war 
ein Proletarier. Immer wieder ist es, als müsste er 
sich langsam auf die Sprache besinnen, die nur durch 
einen verhängten Schlummer ihm zuflösse. Kaum 
etwas von seine: Eih Ai::g hat er bc.vahrt; er berauscht 



XV 

sich, wie damals der bourgeoise Victor Hugo, am 
„conflant", an grossen Begriffen, die er für vornehm 
hält. Das verquickt sich mit matten und verbrauchten 
Worten, die aber so heiss und leuchtend in ihm haften, 
wie sie durch jugendliche Volksreime, durch die 
Rondos der Kinderspiele schreiten. In diese unan- 
sehnlichen und edlen Gefässe giesst er dann alles, 
was er an Wonne und Schmach zu beichten hat, ein 
naives, gebetartiges Stammeln, herzzerreissend und ein- 
lullend wie ein paar Dialogstellen des Maeterlinck. 
Er ist der grösste der Primitiven. 

Was seinen Symbolismus von allem Vorangegan- 
genen unterscheidet, ist das gewollte oder absichtslose 
Ungefähr, das seine verwehten Bilder mit den Ge- 
danken „nicht ohne einiges Verachten" zusammen- 
schliesst. Eine aufgenommene Metapher setzt sich 
ihm fort, hinaus über die festen Schranken, in be- 
klommener Hingabe an den Stimmungsschwall der 
Stunde. In aufgeknüpfter und unerklärter Folge reihen 
sich die Impressionen, verfärbt und flüchtig. Er spürt 
die Welt als einen Zustand seiner Seele, sie ist Schmerz 
oder Glück nach seinem Willen. So wie uns das 
später in der Malerei des Norwegers Munch entgegen- 
kam. Das Äussere ist aufgesogen, mit gespenstischer 
Macht wühlt es sich in uns hinein, vorüberflutend in 
allen Tinten. 

Man hat ihn auch als Schöpfer des „vers libre" 
angerufen, obwohl er mit der schlichten Sicherheit des 
Genialen dem umständlichen Renaissancetrachtenseiner 
Adepten zusah. Dobh hat er auf seine liebe und 
linkische Art, ehe er sich dessen bewusst war, den 
Bann gelockert, der mit der Eindringlichkeit franzö- 
sischer Tradition die verhallende Schwerfälligkeit des 
Alexandriners gebot. Er hat den ungleichen Vers 



H='.. 



\ 



XVI 

gehandhabt, der ganz unvermutet sich erweitert oder 
verengt, fast in ein prosaisches Erzählen hinüberführt. 
Und das mit dem Instinkt des Verklärten, der in sich 
die trunkene Gewalt neuer, zukünftiger Melodieen 
barg. Er wiederholt Sätze und Laute, sein Gedicht 
verschlingt sich und wallt auf und ab wie das Meer, 
Sehr spät ist er dann auch zur Überwindung des Reimes 
gelangt, den er durch die Assonanz zeitweilig ersetzte. 

Der Deutsche, der ihm hier das Meiste verdankt, 
Richard Dehmel, muss uns auch führen, wenn wir 
Verlaines eigenstes Unglück, die Sehnsucht nach dem 
Weibe, verstehen wollen. Auch er begehrte nach 
einer Heiligsprechung seiner Lüste. Aber er suchte 
die Erlösung, anstatt sie in sich zu haben. Darum 
hat er im Staub gekniet, den Purpursaum einer 
Venusmadonna geküsst, die in sonnigem Glänze über 
ihm thronte, und mit irrem Jauchzen sie gelästert. 
Bis seine Kraft zu Ende war und er als ein Bettler 
zusammengekauert starb. 

Die zarten und stillen Jünglinge, die das Erbe 
ihres Königs antraten, haben kein neues Reich erbaut 
und werden es nicht erbauen. Um so tiefer ist die 
Schwermut, die dieser tote Nazarener uns geben kann. 
Vielleicht warten unser auch ganz andere gesellschaft- 
liche Aufgaben, als die Kunst der Übergangszeit sich 
denkt? Der Zeichen sind gar viele. 

Für die Kritik bemerke ich, dass überall die 
Metren des französischen Originals beibehalten sind, 
da nur so ein unentstelltes Abbild sich gewinnen lässt. 

I. II. 99. P. W. 



-^^ 



Baudelaire. 



<^ 



Baudelaire-Verlaine, Gedichte, 




Einklänge. 

JlLs stützt der Pfeilerwald des Alls ein Tempeldach, 
Dem halbe Stimmen oft geheimniswirr entweichen; 
Den Wandrer grüssen drin vertraute Wunderzeichen 
Und leiten seinen Weg mit Blicken gross und wach. 

In langem Wiederhall die Rufe sich vermengen 

Und gehn verrauschend ein zum finstren Hintergrund, 

Es trägt die starre Nacht mit rätselvollem Mund 

Die Antwort hin und her von Düften, Farben, Klängen. 

Es giebt manch zarten Duft, dem Hauch des Kindes gleich 
Und wie Hoboen sanft, wie Grün der Wiesenstrecken 
— Und andere verderbt, im Siege schwelgend, reich, 

Die köstlich atemschwül das Unbegrenzte wecken, 
Benzoe, Weihrauchqualm wie Moschus, Ambraticht, 
Das überwältigend zu Geist und Sinnen spricht. 



r 



Das lieben vor dem Sein* 

Xiinst war der fremde Prunk von Hallen mir erschlossen. 
Der Meeressonnen Spiel umflammte feierlich 
Der Säulen schlanke Flucht, die hocherhaben glich 
Den Grotten aus Basalt, vom Abend übergössen. 

Mit reichem Wogensang zur Küste wälzte sich 
Die Brandung, drin verwühlt der Sterne Funken schössen. 
Und Weisen schwollen an, ein Zauber ungenossen. 
Vermählt dem bunten Tag, der gegen West erblich. 

Dort habe ich gelebt in Ueppigkeit und Schweigen, 

Im lachenden Azur, in tiefen Glanz versenkt, 

Der Sklaven nackte Schar, von schwerem Duft durchtränkt. 

Erfrischte mir die Stirn mit breiten Palmenzweigen — 

Und sie verschärfte nur mit sorgender Geduld 

Den unerklärten Schmerz, der meiner Ohnmacht Schuld, 



Das sehleehte Iios. 

VV eil stets die Last zu Boden reisst, 
Ist ohne Ende das Beginnen, 
Nur dumpfe Mühsal kann gewinnen, 
Was sich dem Wagemut verheisst. 

Es zieht mein Herz von Ruhmessteinen 
Mit Trommelklang hinaus zum Grab, 
Das man den Ungenannten gab, 
In trauriger Akkorde Weinen. 

Manch Kleinod schläft vergessnen Schlaf,^ 
Das nie das Licht des Tages traf. 
Wo keine Hacken klingend schürfen; 

So mancher Blüte Kelch zergeht. 
Und süss geheim ihr Duft verweht, 
Den tiefe Einsamkeiten schlürfen. 



5 . 



Die Sehönheit. 

Ich bin ein Traum von Stein mit marmorschönen Gliedern, 
Der jeden noch zerstört in qualvoll weher Lust, 
Es beugt der Dichter sich verehrend meiner Brust, 
So wie dem toten All, und hebt sich nie zu Liedern. 

Ich tErone im Azur, ein unvorstandnes Bild, 

Mein Herz ist Schnee, mein Leib ist weiss wie Schwanenflüge, 

Ich hasse, was bewegt der Ruhe gross Gefüge, 

Es lächelt nie mein Mund, und keine Thräne quillt. 

Ich herrsche, angestaunt, mit festlichen Geberden, 

Die stolzer Denkmalspracht mein hoher Rumpf entlehnt, 

Dass unablässig mich die Dichter schauen werden; 

Denn mir gehört, wonach ihr kindhaft Herz sich sehnt. 
Der Spiegel Feuerschein, die kalt und blendend sprühen: 
Mein weites Augenpaar mit ewig klarem Glühen. 



Das H^^^- 



o 



seidenweiches Vliess, das kraus zum Halse gleitet, 
Ihr Locken, euch entströmt ein schlafbeladner Duft. 
Verzückung! Durchs Gemach Erinnemngsdunkel schreitet; 
Erwacht gespensterhaft im Haar, das ich entbreitet, 
Vergangne Schauer, zieht in leis erregte LuftI 

Vom fieberschwangren Hauch der todesmüden Sonnen 
Aus abgeschiedner Welt, von öder Länder Brunst 
Ist unentwirrbar schwül dein Nacken überronnen! 
Wie andere vergehn in tiefen Klangeswonnen, 
Vergeht mein trunkner Geist, o Weib, an deinem Dunst. 

Er führt mich hin, wo voll von satten Lebensmächten, 
Von heissem Brand geschwächt, verdämmern Mensch und Baum. 
Seid ihr die See, die mich erfasst, ihr starken Flechten! 
Wie Ebenholz gebeizt, in segelhellen Nächten 
Verbirgst du, schwarzes Meer, manch leuchtend grossen Traum. 

Ein Hafen thut sich auf mit lautem Wellenschimmer, 
Der all mein Wünschen stillt mit Farbe, Duft und Ton; 
Es wallt der Schiffe Kiel durch goldiges Geflimmer, 
Zum reinen Himmel strebt ihr Mast, und droben immer 
Erzittert heilig fern des Taggestirnes Loh'n. 



Es steigt mir Trunkenheit aus eurer Fluten Raunen, 
Weil das Gedenken ihr an andre Meere rieft. 
Und tastend sucht mein Geist in eures Schwankens Launen, 
Was damals ihn gewiegt, das fruchtbar träge Staunen, 
Das mit der Ruhe Hauch von Balsam übertrieft. 

Es bringt dein Haargezelt, von Finsternis durchzogen. 
Mir die Unendlichkeit der blauen Höhen her; 
Betäubend überspielt die weich gelockten Wogen 
Des Flaumes der Geruch, den sie in sich gesogen. 
Von Moschus, Kokosöl und widrig herbem Theer. 

Und lange, immerzu in deine Mähne streue 
Saphir dir meine Hand, Rubinen, Perlenzier, 
Dass niemals deine Lust sich vor Gewährung scheue! 
Du bist die Traumesstatt, in der ich mich erneue, 
Mit des Erinnems Wein erquickst Du meine Gier! 



leh bete, Weib, in dir 



Ich bete, Weib, in dir zur Nacht des Sternenreigens, 
Gefäss der Traurigkeit, du Priesterin des Schweigens, 
Und liebe dich, je mehr du mich in Schönheit fliehst, 
Wenn du in grellem Schmuck durch meine Nächte ziehst 
Und noch die Räume dehnst, mich folternd ohn Erbarmen, 
Dass nur die Leere bleibt in meinen offnen Armen. 

Ich stürze blind dir nach und folge dir in Wut, 
Wie an der Leiche hängt der Todeswürmer Brut, 
Und deine Kälte scheint dich nur noch zu verschönen, 
.Die du so tierisch wild und niiemals zu versöhnen. 




Es gleisst perlmuttcrlieht . . . 

1I0S gldsst perlmutterlicht ihr langes Tanzgewand, 
Das abwärts wogend sie bei jedem Schritt umschaukelt, 
Wie sich die Schlange bläht, die in geweihtem Land, 
Vom Zauberstab geführt, zur Flöte lässig gaukelt. 

Den flachen Steppen gleich, des Wüstenreichs Azur 
Zum Schmerze nie gerührt von menschlicher Empfindung, 
Wie unabsehbar fliesst der Meeresbrandung Schnur, 
So taucht sie auf und ab in mitleidloser Windung. 

Es blinkt ihr Augenpaar von glattem, seltnem Stein, 
Und ohne Zweck und Sinn an diesem fremden Wesen, 
Verrucht und engelkeusch, ein Rätsel auserlesen. 

Wo alles Gold und Stahl und Diamantenschein, 
Bestrahlt wie Sternenglanz die Wunder ihres Leibes 
Die kalte Herrlichkeit des unfruchtbaren Weibes. 



9 



Der Vampyr. 

J_>/ie du mit jähem Messerstich 
In meines Herzens Stöhnen drängest. 
Die du in grausem Wahne mich 
Wie ein Dämonenheer bezwangest, 

Bis du erniedrigt meinen Geist 
Zu deiner Wohnung, deinem Bette, 
Weil du mich dir ergeben weisst 
Wie den Verbrecher seiner Kette, 

Wie keuchend zu entrinnen sucht 
Dem Spiel der Spieler, dem Gebote 
Des Weins der Trunkne, wie der Tote 
Dem Frasse: sei verflucht, verflucht! 

Den scharfen Dolch auf dich zu zücken 
Begehrte ich in meiner Schmach 
Und flehte zu des Giftes Tücken, 
Weiles mir selbst an Mut gebrach. 

Doch wehe! Gift und Dolchesschneide, 
Sie sprachen: Nein, du bist nicht wert 
Der Hilfe in der Knechtschaft Leide, 
Das selbstgeschaffen dich verzehrt. 

Bethörterl wenn auch unser Mühen 
Die Last des Vampyrs von dir hebt, 
Er würde dennoch neu belebt 
Von deiner Küsse irrem Glühen. 



Die i^atze. 



Ko 



Lomm, schöne Katze, an mein liebend Herz 
Und birg der Pfote scharfe Klauen, 
Lass mich den grünlichen Achat, das Erz 
In deinen schönen Augen schauen. 

Wenn traumverloren meine Hand befühlt 
Dein Haupt, die schmiegsam schlanken Glieder, 
In deine Haare sich berauscht verwühlt, 
Dass wirr sie zucken auf und nieder. 

So sehe ich mein Weib. Ihr Blick ist kalt, 

Geliebtes Tier, so wie der deine. 

Und wo er trifft, da zischt ein wunder Spalt 

In seines Blitzes fahlem Scheine. 

Um ihren braunen Körper schwimmt die Luft 

Unfasslich schwül von feinem Duft. 



Der Balkon. 

±JeT Andacht Mutter du, o der Geliebten Grösste, 
Du alle meine Lust, du alle meine Pflicht I 
Du kennst den Schönheitstraum, der meine Angst erlöste, 
Den gastlich milden Herd, das reizvoll müde Licht, 
Der Andacht Mutter du, o der Geliebten Grösste! 

Die Abende erhellt von leiser Kohlenglut 
— Es wob um den Balkon ein rosig zarter Schleier — 
Wie war dein Busen sanft, wie war dein Herz mir gut! 
Und Stunden brachten uns von ewig hoher Feier 
Die Abende, erhellt von leiser Kohlenglut. 

Wie sind die Sonnen schön in abendlichen Schwülen! 
Wie ist der Raum so tief, wie ist so stark das Herz! 
Ich meinte, Königin, dein duftend Blut zu fühlen, 
Wenn ich zu deinem Sitz mich beugte niederwärts, 
Wie sind die Sonnen schön in abendlichen Schwülen T 

Die Nacht ward mählich dicht wie eine feste Wand, 
Mein wacher Blick erriet des Augensternes Süsse. 
Von deines Atems Gift mir die Besinnung schwand, 
In Bruderhänden sacht entschliefen deine Füsse, 
Die Nacht ward mählich dicht wie eine feste Wand. 



13 



Ich lasse sie erstehn, die längst verklungnen Zeilen, 
Und schaue mich wie einst auf deinen Schoss gesenkt. 
Was suche ich umher nach toten Seligkeiten» 
Noch ausser deinem Leib, der alles mir geschenkt? 
Ich lasse sie ersteh n die längst verklungnen Zeiten. 

Die Eide, all der Duft, die Küsse ohne Zahl, 
Entsteigen sie dem Grab, des Tiefen sich nicht künden. 
Wie sich zum Aether hebt der jungen Sonnen Strahl, 
Wenn sie sich rein gespült in lauen Meeresgründen? 
O Eide, all der Duft, ihr Küsse ohne Zahl! 



14 



Der Duft. 



Ha 



Lat dich zuweilen so wie mich berückt 
Zu Trunkenheit und feinem Wohlgefallen, 
Wenn du den Weihrauch sogst in Kirchenhallen, 
Aus alten Kissen Moschus du gedrückt? 

In tiefem Zauberrausch die Sinne wallen. 
Der des Vergangnen Abgrund überbrückt^ 
So wie man des Erinnems Blüte pflückt 
Auf der Geliebten Leib mit heissem Lallen. 

Es stieg aus ihrem biegsam reichen Haar, 

Ein lebend Kissen, schwer bis zu den Hüften, 

Im Schlafgemach der Schwall von Weihrauch-Düften. 

Ob Nesseltuch, ob dunkler Sammet, war 
Ihr Kleid erwärmt von ihrer Jugend Odem 
Und heiss durchzittert von der Pelze Brodem. 



15 



Der t^ahmen. 



w5ei auch ein Bildnis über allem Neide, 
Der Zierrat eines schönen Rahmens kann 
Ihm erst verleihen rätselvollen Bann, 
Als ob er es vom Unermessnen scheide. 

So fügten Polster, Ringe und Geschmeide 
Sich ihrer seltnen Schönheit dienend an. 
Vor ihrem Glanz das fremde Licht zerrann 
Und alles schien Besatz zu ihrem Kleide. 

Von ihrer Liebe schien das All erfüllt, 
In Seide war der nackte Leib gehüllt, 
Der Stoffe Küsse machten sie erschlaffen. 

Durch ihre Glieder jäh ein Schauer lief. 
Ob schnell, ob langsam, das Gedenken, rief 
Sie wach an einen kindlich zarten Affen. 



i6 



Semper eadem* 



Du 



'u sagst: Was soll der Schmerz, die traurigen Gewalten, 
Anschwellend wie das Meer zum felsig nackten Ort? — 
Wenn erst das reife Herz die Ernte abgehalten, 
Ist Leben eine PeinI Das ist ein düstres Wort, 

Ein grosses, schlichtes Leid, das niemandem verborgen, 
Wie deine Freude ist, gemeinsam allen kund. 
Drum frag nicht weiter nach mit kindlich heitrem Sorgen, 
Ob du auch lieblich sprichst, verstumme, süsser Mund, 

Verstumme, armes Kind, du stets verklärte Seele, 
Dass deinem Lachen ich des Daseins Tiefen hehle. 
Mehr wie das Leben noch umkettet uns der Tod. 

O lass, o lass mein Herz genesen an der Lüge, 
Wie einen schönen Traum betrachten deine Züge, 
Dein Auge, das verdeckt von dunkler Wimper loht! 



17 

Baudelaire-Verlaine, Gedichte. 



In Allem. 

üs trat in meine Einsamkeiten 
Des bösen Geistes Zweifellust, 
Und, mich zum Abfall zu verleiten. 
Begann er: Ward dir je bewusst. 

Was an dem Leib, dem makellosen, 
Mit dem sie dich so sehr entzückt. 
Wie Tiefen schwarz und licht wie Rosen, 
Am meisten deinen Traum beglückt? — 

Ich sprach in zümemder Verwahrung 
Zu dem, den meine Seele hasst: 
Da mir ihr Alles Lebensnahrung, 
Ist nichts, was mich zumeist erfasst. 

Wenn alles mich beseligt, frage 
Ich nicht, was mich so trunken macht. 
Sie glänzt wie Röte vor dem Tage 
Und tröstet wie die linde Nacht. 

Zu 'köstlich strömt in reichen Liedern 
Die Harmonie, die sie verklärt, 
Als dass ein unfruchtbar Zergliedern 
Der Wunder Einzelheit erfährt. 

Verwandelt Ineinandergiessen 
Das rätselhaft die Sinne mengt: 
Aus ihrem Atem Töne fliessen, 
Der Stimme Laut ist duftgesprengt. 



1$ 



Was willst du sagen, Herz . . . 

VV as willst du sagen Herz, nach all der Nächte Stöhnen, 
Was willst du sagen, einst Verstössen vom Geschick, 
Der Wundergüti^en, Gehebten, ewig Schönen, 
Die jäh dich auferweckt mit göttlich mildem Blick? 

Mit dankbar frohem Stolz soll all mein Sang sie loben. 
Nichts ist auf Erden ihr in reiner Hoheit gleich; 
Es ist ihr keuscher Leib von Engelsduft umwoben, 
Mit Klarheit segnet mich ihr Auge gnadenreich. 

In stiller Mittemacht, wenn alle mich vergassen. 
Im hellen Tageslicht, im Lärm bewegter Strassen, 
Begleitet mich ihr Schein wie hoher Feuerbrand. 

Zuweilen spricht sie: Tief ist meiner Schönheit Wonne. 
Und nur das Schöne sei dein Traum, das mir verwandt, 
Ich bin dein guter Geist, dir Muse und Madonne. 



19 



Umkehrung. 



De 



"er Freude Engel du, vernahmst du von den Aengsten, 
Der Schmach, die weh uns schreckt auf öder Lagerstatt, 
Und die das Herz uns krampft wie ein zerknülltes Blatt. 
Wenn noch kein Ende naht der Nacht, der allerlängsten ? 
Der Freude Engel du, vernahmst du von den Aengsten? 

Der Güte Engel du, vernahmst du von dem Hassen, 
Den Fäusten zorngepresst, den Thränen gallig herb. 
Wenn uns die Rache führt zum höllischen Verderb 
Und ihres Schwertes Wut die Seele überlassen? 
Der Güte Engel du, vernahmst du je vom Hassen? 

Des Lebens Engel du, vernahmst du je vom Fieber, 
Das bleich und schattenhaft entsteigt dem Hospital, 
Entlang den Mauern schleppt das Leid in dumpfer Qual, 
Die seltne Sonne sucht und stammelnd zieht vorüber? 
Des Lebens Engel du, vernahmst du je vom Fieber? 

Der Schönheit Engel du, vernahmst du vom Erschlafi'en, 
Das doch nicht altem will und voll besorgter Scheu 
Gesenkte Augen prüft, die einst in Liebe treu 
Und die ihm zögernd nun verhasste Lindrung schaffen? 
Der Schönheit Engel du, vernahmst du vom Erschlafi'en? 

Des Glückes Engel du, voll Friede, Licht und Segen, 
Der Priesterkönig selbst, er hätte dich begehrt, 
Dass deines Leibes Dunst den Tod ihm abgewehrt, 
O bring nur mein Gebet der Gottheit du entgegen, 
Des Glückes Engel du, voll Friede, Licht und Segen! 



Abendharmonie. 



Nu 



I un ist die Zeit erfüllt, wo reich an schwankem Stiele 
Aus jeder Blüte schwebt der Weihrauchdämpfe Schar, 
Und Düfte, Klänge ziehn zum Abend wunderbar 
In bangem Wirbeltanz, sehnsüchtig ohne Ziele. 

Aus jeder Blüte schwebt der Weihrauchdämpfe Schar, 
Die ferne Geige weint mit schwermutsvollem Spiele 
In bangem Wirbeltanz, sehnsüchtig ohne Ziele, 
Der Himmel traurig schön ist wie ein Ruhaltar. 

Die ferne Geige weint mit schwermutsvollem Spiele, 
Ein zärtlich müdes Herz, lichttrunken immerdar. 
Der Himmel traurig schön ist wie ein Ruhaltar, 
Die Sonne überschwemmt mit Opferblut die Diele . . . 

Ein zärtlich müdes Herz, lichttrunken immerdar, 
Will, dass vergangner Glanz in sein Erschauern fiele, 
Die Sonne überschwemmt mit Opferblut die Diele . . . 
Aufstrahlt in mir dein Bild, ein Weihkelch überklar. 



Die I^atze. 

I. 

In meinem Hirn mit sachten Schritten 
Nahm eine Katze Aufenthalt 
Von seltsam reizender Gestalt. 
Kaum höre ich sie leise bitten, 

So zärtlich und gedämpft es klingt, 
Der Stimme Flehen oder Grollen, 
Die mir mit ihrem wundervollen 
Erbeben durch die Seele dringt. 

Sie sickert hell wie Perlen nieder 
In meiner Nächte düstre Qual 
Wie eines Verses Rhythmenzahl, 
Wie Zauberwein durch müde Glieder. 

Ihr Schlummersang das Leid beschwört, 
Sie kann zu allen Freuden tragen. 
Die letzte Weisheit kann sie sagen 
Und braucht das Wort nicht, das zerstört. 

Ich kenne keines Bogens Schweben, 
Das mehr des Herzens Saiten rührt. 
Drin alles anklingt, und sie schürt 
Zu vollem, königlichem Leben, 

Als deine Stimme, reines Tier, 

An dem des Seraphs Glanz mich blendet. 

Das überirdisch und vollendet 

In deiner engelhaften Zier. 



II. 

Aus seinem bräunlich blonden I-'elle, 
Bei Nacht ein Balsamhauch entwich, 
Als ich nur einmal drüber strich, 
So stark ist seines Duftes Welle. 

Was ich auch thue, wo ich geh, 
Sie ist mein schützender Begleiter, 
Ist aller Dinge höchster Leiter 
Und Richter, Gottheit oder Fee. 

So oft ihr Auge meinen BHcken 
Entgegenfunkelt wie Magnet, 
Dass sie, zum Innern hingedreht. 
Gelehrig ihm Erleuchtung schicken. 

So schau ich seltsam jedes Mal 
Das Feuer ihrer blassen Augen, 
Die sich beharrlich in mich saugen 
Mit blinkend weisslichem Opal. 



23 



Einladung zur Fahrt 

»3ei, mein Kind, bereit 

Femer Seligkeit, 
Lass mit Heimatruf sie werben! 

Alle tiefste Lust 

Wird dir dort bewusst, 
Bis den Liebestod wir sterben! 

Wie die Sonne glimmt, 

Die im Nebel schwimmt, 
Mit erstarrten Lichtesbächen, 

Funkelt wunderbar 

Deiner Augen Paar, 
Dem die Thränen weh entbrechen. 

Dort ist alles still verklärt, 
Schönheitstraum, der ewig währt. 

Glatten Prunkes voll 

Ein Gemach sich soll 
Mit des Alters Glanz enthüllen; 

Seltner Blumenduft, 

Ambraschwere Luft 
Wird den weiten Raum erfüllen. 

Des Gebälkes Pracht, 

Die aus Spiegeln lacht, 

24 



All das östlich bunte Gleissen, 

Das die Sehnsucht weckt, 

Soll geheim versteckt 
Seinen Zauber dir verheissen. 

Dort ist alles still verklärt, 
Schönheitstraum, der ewig währt. 

Sieh im Wellenspiel 

Ruhn der Schiffe Kiel, 
Eh sie hastig uns entirren; 

Was dein Sinn begehrt. 

Wird dir reich beschert, 
Wenn zu schneller Fahrt sie schwirren. 

Abendsonnenstrahl 

Webt um den Kanal 
Hauch von Gold und Hyacinthen, 

Selig träumt die Stadt 

Und entschlummert matt 
In verglühend warmen Tinten. 

Dort ist alles still verklärt, 
Schönheitstraum, der ewig währt. 



Herbstklage. 



Ich liebe deinen Blick, verdeckt durch schmale Lider, 
Und seinen grünen Schein; doch heut ist er mir fremd, 
Der dunkle Herd, du selbst, und nichts giebt mir sie wieder. 
Die Sonnenglut, die heiss die Meere überschwemmt. 

Und dennoch liebe mich, du zartes Herz, empfänglich, 
Auch wenn ich undankbar vergass der Kindespflicht, 
Geliebte, Schwester, sei der Zauber, mild vergänglich. 
Des ruhmesvollen Herbsts in bleichem Abendlicht. 

Das Werk ist kurz! Im Grab die schwarzen Schollen harren. 
Ah, lass mich auf dein Knie die dunipfe Stirn gelehnt, 
In gelben, süssen Glanz mit müdem Herzen starren. 
Das sich nach all der Pracht des weissen Sommers sehnt. 



^ 



26 




Spanisehes Madonnengebet 

Ich will, o reine Magd, du süsseste der Frauen, 

Dir einen Weihaltar in meinen Tiefen bauen, 

Und eine Nische soll in meiner Qualen Schacht, 

Dem Weltgelüste fem, das meiner Inbrunst lacht, , 

Sich wölben, von Azur und Goldglanz überbreitet. 

Wo du dich heben wirst, die Augen gross geweitet. 

Es soll mein Versgeflecht, aus lauterem Metall 

Geschmiedet und besternt mit Reimen von Kr^'stall, 

Als ungeheurer Reif dein sterblich Haupt umschliessen. 

Aus meiner wachen Angst, Madonna, soll sich giessen 

Um deinen heissen Leib, in Falten unbewegt, 

Ein Mantel starr und schwer, mit Argwohn ausgelegt. 

Der dich entziehen soll den frevelhaften Blicken, 

Und statt mit Perlen will mit Thränen ich ihn sticken. 

Und mein Begehren sei das Kleid, das dich umrauscht, 

Das reich sich hebt und senkt, wie Wellenzug sich bauscht, 

Sich an den Spitzen wiegt und mählich fällt hernieder, 

Mit langen Küssen presst die rosig weissen Glieder. 



27 



Es sei dein Atlasschuh mein demutsvoller Gruss, 

Den du verschmähst, zertrittst mit göttlich schönem Fuss; 

Er soll das zarte Fleisch mit weichem Stoff umschlingen, 

Wie eine treue Form mit ihm sich ganz durchdringen. 

Wenn ich als Schemel nicht, ob auch mein Geist sich müht. 

Den Mond dir feilen kann, der weiss und silbern glüht. 

Will deinen Fersen ich die Schlange unterlegen. 

Die giftig mich durchwühlt, dass, fruchtbar du an Segen, 

Sieghafte Herrscherin, die alle Schmerzen stillt. 

Den Wurm zermalmt, der schwarz vonHass und Geifer schwillt. 

Wie Kerzen aufgestellt, in bunten Blumenkränzen, 

Du Himmelskönigin, um deinen Altar glänzen 

Soll mein Gedanke, und die Decke blau bemalt 

Sei wie von Feuersglut von seinem Blick bestrahlt. 

Und weil mein tiefstes Sein dich liebt, soll dich umwallen 

Als Myrrhen, Weihrauch, Harz in schwüler Dämpfe Ballen 

Und ewiglich zu dir, die du wie Schnee ergleisst, 

In Wolken aufwärts ziehn mein sturmerfüllter Geist. 



Und ganz dir aufzuthun Mariens Muttersendung, 
Verzückten Liebestraum zu einen wüster Schändung, 
Bis alles Mass erschöpft der Todessündenlust, 
Will ich, Gewissensqual in meiner Henkerbrust, 
Nach Gauklerart dir nahn mit sieben scharfen Klingen 
Und will sie ungerührt nach deinem Herzen schwingen 
Und graben, dass du zuckst in wehem Opferschmerz, 
In dein verschluchzend Herz, dein blutbeströmtes Herz I 



* 



28 



piaehmittagssang. 



Ob 



'b auch so kein En^el blickt, 
Hexe, lockend anzuschauen 
Mit den bösen Augenbrauen, 
Die mich sonderbar umstrickt, 

Sei gegrüsst, du meine Sünde, 
Du, an der der Leib vergeht I' 
Priesterlich dich mein Gebet 
Als mein Götzenbild verkünde. 

Wie von Wald und Steppe steigt 
Balsam dir aus rohen Flechten; 
Unter rätselhaften Mächten 
Zögernd sich dein Haupt verneigt. 

Düfte deinen Leib Umschweifen 
Wie aus goldnem Weihrauchfass ; 
Wie der Abend bist du blass, 
Dessen Gluten dumpf ergreifen. 

Wenn du lässig ausgestreckt, 
Kannst du ahl wie Gift verstören. 
Dir entflutet das Bethören, 
Das die Toten selbst erweckt. 

Liebend deine Hüften trachten 
Nach dem Rücken, nach der Brust. 
Wenn als Stätte deiner Lust 
Weiche Kissen dich umschmachten. 

29 



Oft, von dunkler Wut gequält, 
Deine Lippen mich bedrängen, 
Mich mit Küssen zu versengen 
Und mit Bissen ungezählt. 

Braunes Weib, es will zerreissen 
Mich dein Lachen, scharf wie Erz, 
Und dein Blick beglänzt mein Herz 
Wie des Mondes sanftes Gleissen. 

Unter deinen Atlasschuh, 
Unter deine Seidenfüsse, 
Mein Geschick und meine Süsse, 
Leg ich meines Geistes Ruh, 

Meine Seele, die genesen 
Erst durch deine Farbe, Licht, 
Das mit Lebenswärme bricht 
In mein nächtig kaltes Wesen! 



Moesta et errabunda. 



A. 



Lgathe, sag, entflieht dein Herz mit trunknen Flügeln 
Weitab vom schwarzen Meer der hässlich grossen Stadt 
Zu einem andern Meer mit reinen Wogenhügeln, 
Das, unberührt und klar, hellblaue Tiefen hat? 
Agathe, sag, entflieht dein Herz mit trunknen Flügeln? 

O Meer, du weites Meer, so tröste unser Leid! 

Wer gab dem Meer die Kraft, uns in den Schlaf zu rollen 

Mit heisrem Sang, indes durch die Unendlichkeit 

Wie hoher Orgelton des Himmels Winde grollen? 

O Meer, du weites Meer, so tröste unser Leid! 

Entführt mich, Wagen, Schiff", die Ferne dehnt sich offen! 
Weit, weit! Der Boden ist von unsem Thränen feuchL 
So ist es wahr, dass oft dein traurig banges Hoffen 
Sich sagt: Weit, weit hinweg, wenn das Gewissen keucht. 
Entführt mich Wagen, Schiff*, die Ferne dehnt sich offen? 

Wo bist du Paradies, so süss und duftbeschwert, 
Da wandelnd im Azur uns alles Liebe schenkte. 
Da alles, was geliebt, auch unsrer Liebe wert, 
Und lauterer Genuss des Herzens Qual ertränkte, 
Wo bist du, Paradies, so süss und duftbeschwert? 



31 



Das grüne Paradies mit unschuldsvollen Weihen, 
Den Küssen, Liedern all, da sacht der Wind verweht 
Der Geigen zitternd Spiel in flacher Berge Reihen, 
Mit weingefülltem Krug auf abendlichem Beet, 
Das grüne Paradies mit unschuldsvollen Weihen. 

Das frohe Paradies, das heimlich uns beglückt, 
Ist es denn weiter schon, als die Gedanken tragen? 
Kann denn kein irrer Schrei, verhallen und zerstückt. 
Mit schwachem Silberlaut um sein Gefilde klagen, 
Das frohe Paradies, das heimlich uns beglückt? 



22 



Der Wiederkehrende. 

♦3o wie ein Engel düstrer Rache 

Will ich dich finden im Gemache 

Und zu dir gleiten ohne Laut, 

Dass stier dein Blick die Nacht durchschaut, 

Und wie der Mond mit blassen Küssen, 
Die frostig dich durchbeben müssen. 
Will ich mit meinem Schlangenleib 
Dich glatt umfliessen, braunes Weib. 

Wenn dann der fahle Morgen dämmert. 
Kein Herzschlag dir zur Seite hämmert, 
Und bis zum Abend ist es kalt. 

Wie andre durch ihr weich Gekose, 
Will ich gebieten deinem Lose 
Durch des Entsetzens Allgewalt. 



33 

Baudelaire-Verlaine, Gedichte. 



Die Musik. 

-LLs trägt mich hoch zu meinem blassen Stern 
Oft ein Meer von Klängen; 

Ich segle, ob der Himmel licht und fern. 
Ob die Wolken hängen; 

Die Brust nach vom, die Lungen, die geschwellt 

Sich wie Leinen blähen, 
Erklimme ich. die Flut, die nie sich hellt 

Meines Blickes Spähen; 

Ich fühle nach, wie eines Schiffes Kampf 

Tobt in schwerer Stunde; 
Es wiegt der gute Wind, des Sturmes Krampf 

Mich auf tiefem Schlünde. 
Dann wieder ist die Weite stumm und tot 
So wie meine Not. 



34 



Spleen. 

JtLin König herrsckc ich in regendunkJem Lacd. 

Ohnmächtig, wenn auch reich, dem früh die Jugend schvand. 

Der mit Verachtung blickt auf «einer Lehrer Kriechen. 

Der Hunde Schar nur teilt «ein trauervolJes Siechen; 

Nichts heitert je ihn auf, nicht Wild, nicht Falkenjagd, 

Nicht Tor dem Schloäs das V-.lk, das ihm verhungernd klagt. 

Der LiebüngHnarr sogar mit lustigen Balladen 

Zerstreut die Wolken nicht, die seine Stirn beladen. 

Es wird zum Grab sein Bett, mit Uüen ausgeschmückt. 

Und alle Damen rings, die jeder Fürst entzückt, 

Sie können schamlos sich nicht mehr genug entblössen. 

Um dem Gerippe noch Gefallen einzuflössen. 

Der Weise, der des Golds geheimen Ursprung kennt. 

Fand nie in seinem Leib das kranke Element. 

Mit Bädern roten Bluts, wie wir von Rom sie erben. 

Die \iele Mächtige sich wählen vor dem Sterben, 

Vermag er nicht dem Leib zu geben neue Kraft, 

In dessen Adern fliesst ein grüner Todessaft. 



35 



Trauriges Madrigal. 



Wa 



as soll mir deine Vorsicht dienen? 
Sei schmerzlich schön! Der Thränen Lauf 
Verklärt die unbewegten Mienen 
So wie ein Fluss, vom Glanz beschienen; 
Es frischt der Sturm die Blumen auf. 

Ich liebe dich, wenn, jäh erkaltet, 
Die Freude deine Stirne flieht, 
Der Schrecken fühllos in dir waltet 
Wenn das Vergangne sich entfaltet 
Und düster schwer das Jetzt umzieht. 

Ich liebe dich, wenn blutge Bäche 
Dein heisses Auge niederschickt. 
Und ob ich Schlummertrost dir spreche 
Mit meiner Hand, die Todesschwäche 
In dir ein Röcheln kaum erstickt. 

Ich atme, göttliches Geniessen 
Und köstlich tiefen Weihechor, 
Die Thränen all, die dir entfliessen. 
Und glaube, ihre Perlen spriessen 
Aus deines Herzens Licht hervor. 



36 



Ich weiss, dein Herz kann nicht vergessen 
Die alten Lieben, gährend wild, 
Und flammt wie die erhitzten Essen; 
Von der Verdammnis ist besessen 
Dein Busen, dem die Qual entquillt. 

Doch bis du nicht in deinen Träumen, 
Geliebte, Höllengründe schaust 
Und Alben ohne Rast und Säumen 
Und dich in irrem Ueberschaumen 
Nie mehr vor Gift und Messer graust. 

Bis du nicht öffnest mit Verzagen, 
Weil stets dein Geist das Unheil spürt. 
Erschüttert von der Stunde Schlagen, 
Und dir Verachtung, nicht zu tragen. 
Mit eklem Arm die Kehle schnürt. 

So lange wird auch dir, der Hohen, 
Mit scheuer Liebe Sklavensinn, 
Wenn schwarzer Nächte Dünste drohen, 
Der trunknc Schrei noch nicht entloben: 
„Nun, König, nimm die Königin!" 



37 



Der Springbrunnen. 



o 



lass die Augen nun geschlossen, 
Mein armes Kind, so schön im Schlaf, 
Und bleibe, wie ich dich genossen. 
So wie dich das Ermatten traf. 
Im Hofe schwatzt des Bnmnens Singen 
Und schweigt nicht still bei Tag und Nacht; 
Er redet mir mit leisem Klingen 
Vom Glück, das du mir heut gebracht. 

In lichten Funkengärben 

Das Wasser sprüht, 

Mit bleichen Silberfarben 

Der Mond erglüht. 

Bis all die Thränen starben 

Wie todesmüd. 

So stürmt, vom Blitz der Luft getroften, 
Empor dein feuerheisses Herz, 
Die Seligkeiten stehn ihm offen 
Und rauschend hebt sich's himmelwärts. 
Doch wenn sein trunkner Sang verhallte, 
So sinkt es hin, vom Wind zerfetzt, 
Indes durch unsichtbare Spalte 
Sein Weinen meine Seele netzt. 



3« 



In lichten Funkengarben 

Das Wasser sprüht, 

Mit bleichen Silberfarben 

Der Mond erglüht, 

Bis all die Thränen starben 

Wie todesmüd. 

O du, so schön im nächt'gen Schweigen, 
Lass mich mein Ohr, von Quell umrauscht. 
Zu deinen Brüsten niedemeigen, 
Dass es des Wassers Schluchzen lauscht. 
O Mond, du Brunnenstrahl, ihr Schauer, 
Du Sommernacht, verzaubert mild, 
Ihr Bäume, eure reine Trauer 
Ist meiner Liebe Spiegelbild. 

In lichten Funkengarben 

Das Wasser sprüht, 

Mit bleichen Silberfarben 

Der Mond erglüht, 

Bis all die Thränen starben 

Wie todesmüd. 



39 



Ikarusklage. 



XLs scheidet mit erquicktem Sehnen, 
Wer bei Verlornen Liebe fand, 
Ins Leere mir das Glück entschwand, 
Ob auch die Arme sich zerdehnen. 

Manch unvergleichliches Gestirn, 
Das lodert in des Himmels Grenzen, 
Ist schuld, dass nur noch Sonnen glänzen 
In meinem lichtverzehrten Hirn. 

Ich suchte, wo das Weltall endet. 
Umsonst hab ich den Raum zerteilt; 
Ein Feuerauge, glutbepfeilt, 
Die Schwingen meiner Seele schändet. 

Und überwältigt vor dem Ziel, 
Trotz meiner Schönheitssehnsucht Brennen, 
Darf ich den Abgrund nicht benennen, 
In den ich jäh zerschmettert fiel. 



40 



1^ u h e. 

»3ei weise, o mein Schmerz, und lass dein armes Bangen; 
Den Abend riefst du an. O hör sein sachtes Gehn, 
Es ist die grosse Stadt von Dunkelheit umfangen, 
Und Friede oder Qual erweckt der Schleier Wehn. 

Indes die Menge fröhnt dem sündigen Verlangen, 

Das ihr ein Henker wird, verschlossen ihrem Flehn, 

Und herbe Pein sich schafft in knechtisch eitlem Prangen, 

Gieb mir die Hand, mein Schmerz, lass uns in Fernen sehn. 

Es neigt sich still herab von der Balkone Rändern 
Erstorbner Jahre Zug mit blassen Festgewändern, 
Aus toter Fluten Grund die Reue lächelnd träumt. 

Die Sonne sucht ihr Grab, verdeckt von Brückenbogen, 
Und wie ein Leichentuch, das schwarz den Osten säumt, 
Kommt näher, näher schon die süsse Nacht gezogen. 



41 



iMebel und liegen. 



o 



Herbstesspanne, Lenz, der trüb enttaucht dem greisen. 
Verhüllten Winter, lasst euch, Jahreszeiten, preisen. 
Die ihr den Schlaf mir schenkt, mich an das Scheiden mahnt, 
Dass schon das Grab mein Geist in euren Dämpfen ahnt. 

Wenn durch die Fläche saust der Wind mit kalten Weisen, 
Und in der langen Nacht die Wetterhähne kreisen. 
Viel höher als im Lenz, den Fittich ausgezahnt, 
Die Seele rabenschwarz sich ihre Wege bahnt. 

Nichts tröstet so das Herz, das sich dem Tod ergeben. 
Und das seit langem schon bereift vom weissen Frost, 
Ihr fahlen Zeiten, die ihr herrscht von West zu Ost, 

Als ohne Unterlass in eurem Reich zu leben. 

Wenn nicht auf dunklem Bett, das nie der Mond bescheint. 

Zu bergen seinen Schmerz, vom Zufall nur vereint. 



42 



Iiand des Traumes. 

»^eit jene Landschaft mir genommen, 
Die nie ein sterblich Auge sah, 
Ist mir, berückend und verschwommen, 
Ihr Bild noch im En\'achen nah. 

Es ist der Schlaf von Wundem trächtig, 
Nach einer Laune Seltsamkeit, 
War dieses Schauspiel furchtbar prächtig 
Vom wirren Pflanzenwuchs befreit. 

Und in beseligten Entwürfen 
Liess mich des Traumes stolze Schau 
Die linienstrenge Einheit schlürfen 
Von Wasser, Stahl und Marmorbau. 

Es war mit Treppen und Arkaden 
Ein üppig riesenhaftes Schloss 
Darin das Plätschern der Kaskaden 
In braunem Abendduft zerfloss ; 

Und wuchtig steile Wasserhänge, 
Wie Fenstergitter von Krystall, 
Umkleideten mit Lichtgepränge 
Die harten Mauern von Metall. 

Mit Säulenbogen, nicht mit Zweigen, 
Umdunkelt war der Weiher Schloss, 
Und Nymphen sah ich drüber neigen 
Die Arme überweiblich gross. 



43 



Es war von rosig grünen Stufen 
Der Fluten Spiegel eingedämmt, 
Und wo ihr Bett sie sich erschufen, 
Das Uebergrenzte überschwemmt. 

Das waren unerhörte Steine, 
Verzaubert stiller Wellen Schlag, 
In ihrem blendend grossen Scheine 
Der Femen lichtes Glühen lag, 

Und Ströme, mühlos und verschwiegen, 
Entglitten weiss dem Stemengrund, 
Die Schätze ihrer Urnen stiegen 
Hinab zu dem demantnen Schlund. 

Ich baute mir die Märchenfeste, 
Die meinen Träumen ich erkor. 
Aus hohen Edelsteinen presste 
Das Meer sich unterjocht hervor. 

Es war ein glatter Irisflimmer 

Selbst auf dem Schwarzen, blinkend rein. 

Und fügte flüssig klaren Schimmer 

In den krystallnen Rahmen ein. 

Sonst kein Gestirn, nicht Sonnenspuren 
Auch in der Erde Nachbarschaft, 
Es strahlten die verzückten Fluren 
Von wesenseigner Feuerskraft. 

Doch war die lauschende Bewegung 
Nur sichtbar, nicht vom Schall entweiht, 
Und barg, unsägliche Erregung, 
Das Schweigen der Unendlichkeit. 



« 



44 



Verlaine. 



jMevermore. 



w. 



as streift Erinnern mich gleich einem leisen Traume? 
Die Drossel flog im matt beglänzten Himmelsraume, 
Es brach des Sturmes Macht sich dumpf am Waldessaume, 
Das Laub hing fahl herab vom herbstlich welken Baume. 

Wir schritten durch den Wind, versunken und allein. 
Da sprach sie plötzlich, dass mit seinem milden Schein 
Ihr Strahlenblick mich traf: O sag, Geliebter mein, 
Was war Dein schönster Tag? Und wie das Gold so rein 

War ihrer Stimme Klang, wie helles Engelsgrüssen. ' 
Ein stilles Lächeln sah sie meinen Mund umfliessen. 
Ich küsste ihre Hand, so schneeig weiss und fein. 

Wenn* erster Blumen Duft mit ihrer Keuschheit bliebe! 
Denn welch ein andrer Laut berauscht das tiefste Sein 
Wie jenes erste Ja, das Pfand erhörter Liebe ! 



« 



47 




iMaeh drei Jahren. 



J.ch stiess die Thüre auf, die ich so oft durchschritten, 
Dass ich den Garten sah noch gänzlich wie zuvor, 
In Morgensonnenlicht und taugewebtem Flor. 
Von allen Blumen feucht die schweren Perlen glitten. 

Nichts Kleinstes ist mir fremd. Noch sehe ich inmitten 
Die Laube weinumrankt, darin der Stühle Rohr, 
Noch rauscht mit Silberton des Brunnens Strahl empor. 
Noch höre ich wie einst den Alten klagend bitten. 

Die Rosen zittern, wie ich damals sie gesehn 

Im Wind mit stolzer Pracht die Lilienhäupter stehn. 

Die Lerchen flattern hoch wie in den alten Tagen. 

Mit ihrem brüchigen Gips seh ich in klare Luft 
Noch der Velleda Bild aus grünen Bäumen ragen, 
Aufrecht und schal umspielt von des Reseda Duft. 



48 



Wun s eh. 



Wo 



o bist du, süss Gekos aus erster Liebe Tagen, 
Azur der Augen, Haar wie Goldesflammen rot, 
Der jungen Leiber Ifaum verstecktes Angebot, 
Die dufterblühend bald schon wieder schamhaft zagen! 

Soll all dem reinen Glück auf immer ich entsagen ? 
Mein Reinheitstraum entfloh aus meines Winters Tod 
Voll Gram und Ueberdruss und bittrer Herzensnot 
In einen armen Lenz der sehnsuchtsvollen Klagen. 

Nun sitz ich einsam hier als der Verzweiflung Spiel, 
Und durch die Glieder schleicht ein greisenhaft Gefühl, 
Wie sich die Waise fern der guten Schwester härmet. 

Wo ist das eine Weib, das braun, versonnen, lind, 
Mit seiner Liebe Trost mich neu belebt und wärmet 
Und auf die dumpfe Stirn mich küsset wie ein Kind? 



49 
Baudelaire-Verlaine, Gedichte. 



Ermatten. 



Ge 



lemach, gemach, gemach I O finde dich zurück, 
Des Fiebers tolle Glut musst du in dir bezwingen, 
Musst schwesterlich verklärt dich mir entgegenbringen 
Und Friede atmen selbst im höchsten Liebesglück. 

Ermatte endlich, gieb es auf, dein stöhnend Ringen 
Und wieg mich kosend ein mit schlummermüdem Blick. 
Es ist ein langer Kuss ein seliger Geschick, 
Selbst wenn er trügt, als Wahn und krampfhaft heiss Um- 
schlingen. 

Doch tobt, so sagst du mir, in deines Herzens Haft 
Noch schmetternd gell der Ruf der roten Leidenschaft; 
O lass die Arge schrein, was brauchst du drum zu sorgen .> 

Die Stirn an meiner Stirn, umfasse mich, mein Kind, 
Zu hohen Eiden, die doch leer und nichtig sind, 
Und lass uns weinen bis zum dämmergrauen Morgen. 



50 



Mein Iiieblings träum. 



De 



"er Schatten einer Frau, nie ist sie völlig gleich 
Und doch dieselbe, mich in holdem Traum umschwebet, 
Die meiner Seele Leid mit ihrer Seele lebet 
Und im Verstehen neigt ihr Antlitz liebereich. 

Denn sie, und sie allein, mit Händen zärtlich weich 
Die dunkle Rätsellast von meinem Wesen hebet, 
Und sie allein, wenn sie in stummen Thränen bebet. 
Kühlt meine Stirn, die feucht und wie im Tode bleich. 

Ob blond, ob braun ihr Haar, ich könnte es nicht sagen. 
Ihr Name aber tönt, wie ihn Verstossne tragen. 
Sie blickt in Fernen aus, ein hohes Marmorbild. 

Und ihrer Stimme Klang aus Nacht und Schmerz beschwöret 
Mit feierlichem Ernst den Zauber, sanft und mild. 
Der trauten Stimmen, die wir einst um uns gehöret. 



51 

4^ 



An eine Frau. 



Be 



/ei deiner Augen Huld und gnadenreichem Schimmer, 
Darin ein süsser Traum unstät bald weint, bald lacht, 
Bei deiner Reinheit — hör' aus tiefer Todesnacht, 
Aus Abgrundsgrab vernimm mein leises Angstgewimmer. 

Ein grässliches Gebild umlastet zehrend immer 

Die bange Seele mir, von Wut und Zorn entfacht, 

Wie Wolfeshorden wächst es an mit stetci Macht 

Und weicht von meinem Pfad, dem blutbefleckten, nimmer. 

O meine Leiden sind unendlich ohne Zahl. 

Ein Hirtenlied nur war des Menschen erstes Stöhnen, 

Als er aus Eden floh, verglichen meiner Qual. 

Dein Herz ist ausgefüllt von kleiner Sorge Sehnen 
Und flattert nur umher wie Schwalbenflügelschlag 
An einem warmen, lichterfüllten Herbstestag. 



52 



Sonnenuntergang. 

.r\uf der Felder Schweigen 

Ruhet wehmutsbang 

In des Tages Neigen 

Sonnenuntergang, 

Durch des Tages Neigen 

Zieht Vergessensklang, 

Milder Zauberreigen, 

Sonnenuntergang. 

Und Gestalten schreiten 

Aus des Traumes Schoss, 

Von den Meeresweiten 

Ringen sie sich los, 

Wie die Sonnen gleiten. 

Schwül und flammend gross 

Aus des Traumes Schoss 

Ueber Meeresweiten. 



53 



Mystisehes Abenddämmern. 

.r\us Dämmergrüften winkt mit brünst'gen Mienen 

Mir (las Gedenken, wo in rotem Brand 

Den langen Tag der Hoffnung Zeichen schienen, 

Und schwebt zur Höhe wie die Treibhauswand 

Mit Blumen aus geheimnisvollem Land — 

Ranunkeln, Lilien, Tulpen, Georginen — 

Und an den Gattern, die den Zweigen dienen. 

Umfassen sich mit heisser Krankenhand 

Die schweren Düfte, die der Tag entband — 

Ranunkeln, Lilien, Tulpen, Georginen — 

Und sie ertränken Seele, Herz, Verstand, 

Unendlich strömend von licr Kelche Rand, 

Aus dunkler Dämmergruft mit brünst'gen Mienen. 



54 



Sentimentaler Gang. 

J.n müdem Schein die Sonnengluten starben, 
Es wiegten sich im Wind mit blassen Farben 
Die breiten Rosen dort im Flüsterrohr 
Und blinkten weiss aus Wassersgrund her\'or. 
Ich irrte ganz allein mit meinen Leiden 
Den Sumpf entlang, vorbei an kahlen Weiden, 
Wo aus dem Nebel ein Gespenst sich wob, 
Das milchig seine fahlen Arme hob 
Und ängstlich weinte, wie in Rohrestiefen 
Die Enten, die sich flügelschlagend riefen 
Im Weidendickicht, wo ich ganz allein 
Mit meinen Leiden ging; den müden Schein 
Verschlang das Dunkel, alle Gluten starben. 
Die Wellen tauchten sich in blasse Farben, 
Doch all die Rosen blinkten weiss hervor. 
Die breiten Rosen dort im Flüsterrohr. 



55 



Herbstlied. 

-Lyes Herbstes Sang 

Lässt schluchzend bang 
Geigen tönen, 
Die jedes Mal 
Mtt dumpfer Qual 
Mich durchstöhnen. 

Der Atem keucht, 
Die Stirn ist feucht, • 
Müd im Scheine 
Des DUmmerns loht, 
Was in mir tot, 
Und ich weine. 

So geh ich fort, 
Bald hier, bald dort, 
Sturmgetragen, 
Den Blättern gleich, 
Die welk und bleich 
Um mich klagen. 



56 



Sehäferstunde. 



De 



"er Mond ist rot, von trüben Dünsten schwer, 
In Nebelwogen rings die Wiesen rauchen, 
Aus grüner Binsen Schlaf die Frösche tauchen, 
Ihr Ruf zerreisst das graue Schleiermeer. 

Die Rosen schliessen sich mit weissen Blättern; 
Die Pappeln ragen fern und ungewiss 
Gespenstisch starr in schwarzem Schattenriss, 
Durch das Gebüsch Johanniswürmchen klettern; 

Die Eulen taumeln auf und rudern sacht 
Durch Finsternisse hin mit trägen Schwingen, 
Ein taubes Licht will sich der Luft entringen: 
Da blitzt der Abendstern — das ist die Nacht. 



57 



Die flaehtigall. 



Mi, 



Lit jähem Schrei wie scheuer Vögel Zug 
Umschwirrt mich angstvoll des Erinnems Flug 
Umschwirrt mein Herz, das welk gleich Erlenzweigen 
Gebrochen klagt in trauerndem Verneigen 
Und zu der Reue Flut sich niedersenkt, 
Die violett sein Spiegelbild ertränkt, 
Umschwirrt mich, bis gemach das schhmme Lärmen 
Von eines sanften Windes feuchten Wärmen 
Erstickt sich legt und endhch ganz verkhngt. 
Nur leise, leise eine Stimme singt 
Von toter Liebe, die ich einst genossen, 
Und alle Sehnsucht ist in sie ergossen. 
Des Vogels Stimme, dessen Zauberschlag 
Mich noch verzückt so wie am ersten Tag; 
Und überronnen von der Strahlenspende 
Des Mondes, der sich hebt auf dem Gelände, 
Von schwüler, dunkler Sommernacht verstört, 
Die tief ergrififen stumm das Klagen hört 
Und bebt von eines Windes zagem Hauche, 
Erstirbt des Vogels Lied im hohem Strauche. 



58 



Weib und Katze. 

In anmutsvollem Spiel sich neckten 
Das Kätzchen und die schöne Frau, 
Und weiss sich Hand und Pfote streckten 
In dämmermattes Abendgrau. 

Des Weibes feine Händchen steckten 
Im Zwirngewebe schwärzlich rauh, 
Und ihre scharfe Schneide deckten 
Die hellen Nägel tückisch schlau. 

Gleich ihr verbarg die weisse Katze 
Die zuckersüsse, falsche Tatze, 
Doch war der Teufel immer wach. 

Und wie erregt ihr Kichern schallte, 
Vier Punkte bhnkten im Gemach 
Aus grünlich fahler Augen Spalte. 



59 



liied der flaiven. 



Wi. 



ir sind die naiven Kleinen, 
Die das Haar gewellt umfliesst, 
In Romanen wir erscheinen, 
Die man nur noch selten liest, 

Wandeln in verschlungnen Tänzen, 
Und der Tag ist keuscher nicht 
Als mit blauer Augen Glänzen 
Unsrer Unschuld Traumgedicht. 

Und wir scherzen durch die Fluren 
Stundenlang in tollem Lauf, 
Suchen tändelnd ernst die Spuren 
Bunter Schmetterlinge auf. 

Breite Schäferinnenhüte 
Halten keck der Sonne stand, 
Kleider weiss wie Maienblüte 
Gürten uns mit heitrem Band. 

All die müden Kavaliere. 
Folgen uns mit „Ach!" und „OhI*' 
Mit verschmachtendem Geziere, 
Und ihr Herz brennt lichterloh. 

60 



Doch sie sind uns nicht gefährlich, 
Spöttisch unsre Hand sich spreizt, 
Dass aus Knisterhöschen spärlich 
Unser Kinderleib sie reizt: 

Und wir lachen dieser Thoren, 
Deren Andacht stets uns plagt, 
Selten nur, dass bang, verloren 
Unser Herzchen sich befragt. 

Und vom Umhang scheu geborgen 
Leise schauert, überrascht, 
Vom Gedanken, dass schon morgen 
Ihr Begehren von uns nascht. 



Serenade. 

Oo wie ein Toter, tief im Grab erwacht. 

Keucht mit grausem Singen, 
Lass meine Stimme durch die schwarze Nacht 

Heiser dich umdringen. 
O öffne deine Seele meinem Ruf, 

Hör' der Laute Girren, 
Das weiche Liebeslied, das ich dir schuf, 

Hör' das Lied des Irren. 
Denn preisen will ich deiner Augen Paar, 

Wie so blank es glutet. 
Die Brust, wo ich vergass die Qual, dein Haar, 

Das dich lang umflutet. 
So wie ein Toter, tief im Grab erwacht, 

Keucht mit grausem Singen, 
Lass meine Stimme durch die schwarze Nacht 

Heiser dich umdringen. 
Dann will ich preisen deines Fleisches Duft, 

Der mich umziehet. 
Den Sinn betttubend, wenn in schwüler Luft 

Aller Schlaf mich fliehet. 
Und sagen will ich, wie du wild geküsst. 

Mich auf Mund und Stime, 
Wie du mir Wollust und Verderben bist, 

Reiner Engel! — Dirne I 
O öffne deine Seele meinem Ruf, 

Hör' der Laute Girren, 
Das weiche Liebeslied, das ich dir schuf, 

Hör' das Lied des Irren. 



62 




Mondsehein. 

JlLin schöner Park ist eurer Seele Bild, 
Belebt von reizend buntem Schäferfeste, 
Zu Tanz und Spiel die frohe Laute schrillt. 
Doch traurig blickt der Maskenzug der Gäste. 

Sie singen in getragnem, sanftem Moll 
Von Liebesglück und von erhörtem Werben, 
Doch ihre Weisen sind so schwcrmutsvoll, 
Dass sie im zarten Mondenschein ersterben. 

Der niedertrauert gross und silberhell, 
Den Vogel wiegt in schattendunklen Bäumen 
Und schluchzen lässt mit funkelndem Gefäll 
Die schlanken Strahlen, die in Marmor schäumen 



63 



Die Allee. 



Wi< 



ie eine Schäferin bemalt, mit Puppenwangen, 
Gebrechlich anzusehn in all der Bänder Last, 
Von Zweigen überwölbt, kommt sie dahergegangen, 
Wo die Allee sich dehnt mit grüner Bänke Rast, 
In tausendfachem Putz, mit künstlich steifen Schritten, 
Wie sie beim Papagei, den man verwöhnt, gelitten. 
Es schleppt ihr blaues Kleid; des Fächers Malerei, 
Den ihre dünne Hand, besetzt mit breiten Ringen, 
Zerknittert, flüstert ihr von schlüpfrig leichten Dingen, 
Sie schaut zerstreut ihn an und lächelt etwas frei. 
— Sonst ist sie blond. Gar fein die Nasenflügel beben, 
Der Mund ist fleischig rot, geschaffen zum Genuss, 
Die Augen zierlich leer, und ihren Schimmer muss 
Ein Schönheitspflästerchen mit seinem Dunkel heben. 



64 



Ruf der Promenade. 

JlLin blasser Himmel, schlanke Bäume lachen 
Herab auf unser farbenhelles Reich, 
Und die Gewänder fliegen, Träumen gleich. 
Die sich beschwmgt in Lässigkeit entfachen. 

Im Becken streift ein lauer Wind die Flut, 
Der Mittagssonne warmes Licht ermattet, 
Wo niedrer Linden Laubwerk uns umschattet, 
Und trift't uns nur mit dämmerweichcr Glut. 

Kokette Damen, die gewährend zaudern, 

Verliebte Herzen, eitler Treue bar. 

So sucht und hintergeht sich jedes Paar 

Und treibt verfänglich Spiel in keckem Plaudern. 

Oft straft uns, wenn wir kränkten ihr Gebot, 
Mit unvermerktem Schlag die Hand der Schönen, 
Dann küssen hastig wir, sie auszusöhnen, 
Des kleinsten Fingernagels zartes Rot. 

Und weil gar arg und tollkühn dies Verbrechen, 
So prüft uns eisig kalt ein strenger Blick, 
Indes, zu lindern unser Missgeschick, 
Die Lippen gnädig schmollend widersprechen. 



6s 

Baudelaire «Verlaine, Gedichte. 



Aufzug. 



Ei, 



^in Affe springt in Goldbrokat 
Um ihre Füsse ausgelassen, 
Und krampfhaft ihre Finger fassen 
Des Spitzentuches weissen Staat. 

Von einem roten Negerknaben 
Gehoben sich die Schleppe bläht, 
Der nach geheimen Falten späht, 
In schwerer Seide Last vergraben. 

Der Affe glotzt bei jedem Satz 

Auf seiner Herrin tiefes Mieder, 

Die Pracht der halb enthüllten Glieder, 

Den göttlich wundervollen Schatz. 

Der Neger hebt des Kleides Säume 
Viel stärker, als es sich gehört, 
Zu schaun, was seine Ruhe stört, 
Die Wonne seiner frechen Träume. 

Sie aber schreitet ungerührt 

Hinab den Treppenbau des Schlosses, 

Die Huldigungen ihres Trosses 

Die stolze Dame nie verspürt. 



66 



Die ]S/[us<^tLeln. 



E 



war mit Muscheln ausgelegt 
Die Liebesgrotte, drin wir ruhten, 
Und jede hat mich tief bewegt. 

Der einen Wände purpurn bluten 
Wie unsrer Seelen trunknes Loh*n, 
Wenn dich verzehren meine Gluten; 

Die hat den blässlich matten Ton 
Wie dein Gesicht, wenn du bezwungen 
Dich scheust vor meiner Augen Hohn. 

Die dort ist artig und verschlungen 
So wie dein Ohr, und die, versteckt, 
Ist wie dein Nacken, kurz, gedrungen. 

Doch eine hat mich süss erschreckt 



67 



Im Boot. 



XLs taucht der Stern ins Bodenlose 
Des schwarzen Wassers, der Matrose 
Sucht nach dem Stahl in seiner Hose. 

Nun sei die Stunde angesagt, 
Galante Herrn, wo unverzagt 
An alles meine Hand sich wagt. 

Es lässt zu der Guitarre Klirren 
Der Kavalier die Augen irren. 
Die Undankbare zu verwirren. 

Der Abbd spricht ein schönes Kind 
Von Sünden frei, indes geschwind 
Der Junker lose Ränke spinnt. 

Der Mond erhellt die dunklen Weiten, 
Und lässig teilt in sachtem Gleiten 
Der Kahn des Wassers stille Breiten. 



68 



Der paun. 

JlLs lacht in gfrüner Beete Runde 
Ein alter Faun, und ahnungsbang 
Vor seinem thönern frechen Munde 
Ein kühler Schauer uns durchdrang, 

Die wir vereint zu heitrem Bunde 
Und wehmutsdüstrem Pilgergang, 
Indes die schicksalsvolle Stunde 
Uns flieht im Schellenwirbelklang. 



69 



Die Gleiehgültigen. 

X3ahl Seid ihr trotz des Glückes Neid 
Mit mir zu sterben auch bereit? 

— Der Vorschlag ist nicht ganz alltäglich. 

— Drum ist er gut. Den Tod erwählt, 
Von dem Dekameron erzählt. 

— Hil Hü Ihr liebt doch seltsam kläglich! 

— Das weiss ich nicht. Doch offenbar 
Ist meine Liebe treu und wahr. 

Nun, wollen in den Tod wir gehen .^ 

— Mein Herr, Ihr redet besser noch, 
Als Ihr mich liebt, und spottet doch! 

Dass Ihr mich langweilt, müsst ihr sehen. — 

Und bald nachher in Parkesnacht, 
Von zwei Sylvanen überwacht. 
Verging das Paar sich ganz unsäglich 

Und dachte nicht an Gram und Tod 

Und das erlesne Angebot. 

Hi, hil Sind Liebeslaunen kläglich! 



Der umgestürzte Amor. 



Es 



-rfS hat der Wind gestürzt den kleinen Liebesgott, 
Der gestern Abend noch im tiefsten Gartengrund 
Gespannt in Händen hielt des Bogens niedlich Rund 
Und jüngst uns lächelnd sah mit überlegnem Spott! 

Der Wind hat ihn gestürzt. In trocknem Marmorstaube 
Der weisse Leib verweht, vom Morgenhauch getragen. 
Der Sockel starrt. Nur schwer lässt sich der Name sagen 
Des Künstlers, überdeckt von schattendunklem Laube. 

Der leere Sockel starrt in seinem toten Schmerz, 
So traurig und verwaist, und im Geheimen stiehlt, 
Indes der Augenblick mich träumerisch umspielt, 
Sich zag ein Vorgefühl in mein verlassnes Herz. 

Wie traurig! Und selbst dich, mein loses Kind, durchzittert 
Des Bildes stummes Leid, wenn auch dein Blick sich wendet 
Zum Schmetterlinge, der dich purpurgolden blendet 
Und keck sich wiegt, wo feucht der Schutt im Gang verwittert. 



JSÄit gedämpfter Stimme. 

W eihevoll im Dammerschein 
Unter hoher Aeste Nacht 
Tief in unser Wesen ein 
Zieh' des Schweigens Zaubermacht 

Lass im Seelenkusse heiss 
Unsrer Sinne Rausch zergehnj 
In der Erdbeerbäume Kreis 
Schwermutsvoll die Fichten stehu. 

Schliess der Augen stilles Paar, 
Leg' die Arme auf die Brust, 
Fern sei dir auf immerdar 
Alles Wollens Schmerz und Lust. 

Lausche, wie der Wind verhaucht, 
Wie er kosend uns umspült, 
In den Rasen niedertaucht, 
Den sein Atem leis durchwühlt. 

Doch wenn tot der letzte Strahl 
Und der müde Tage entflieht, 
Künden unsrer Seele Qual 
Soll der Nachtigallen Lied. 



Sentimentale Zwiespraehe. 

Im allen Park, in starren Dunkels Grab 
Da zucken bleiche Schatten auf und ab. 

Glanzlos die Augen, tot die Lippen sind, 
Der Worte irres Flüstern stirbt im Wind. 

Im alten Park, in dunkler, starrer Nacht, 
Da sind zwei bleiche Schatten aufgewacht. 

Denkst du an flammenheisse Liebeslust, 

Die längst erlosch? — Wie war' sie mir bewusst? ■ 

Erbebt dein Herz, wenn du gedenkest mein? 
Siehst meine Seele du im Traume? — Nein. — 

Ah, unser Glück, so fern, nie mehr erreicht, 

Da deinen Mund ich presste? — Ja, vielleicht. — 

Wie leuchtete der Himmel hoffensgross I — 
Das Hoffen floh hinweg in Grames Schoss. — 

So klagend sie durchs Gras gewandelt sind, 
Der Worte irres Flüstern starb im Wind. 



* 



73 



Sehon beginnt es saeht zu tagen 

»5chon beginnt es sacht zu tagen . . 
Bleicher Stern, auf deiner Bahn — 
Wachteln schlagen 
Fernher aus dem Thymian — 

Sende du zum Dichter nieder, 
Dessen Aug* voll Liebe blickt — 

Jubellieder 
Himmelwärts die Lerche schickt — 

Eh im Frührot es ertrinket, 
Sende ihm dein sanftes Licht — 

Leise winket 
Dort das Korn, gereift und dicht! — 

Weithin durch das matte Dunkel 
Trage meinen wachen Geist — 

Taugefunkel 
Rings an allen Halmen gleisst — 

Sieh, noch schlummert meine Wonne, 
Träumt so liebUch, träumt so hold — 

Schnell, die Sonne I 
Schon flammt auf ihr Strahlengold. 



74 




In liehtem Sehweigen. 

In lichtem Schweigen 
Erstrahlt der Mond, 
Auf allen Zweigen 
Ein Singen wohnt 
Und schluchzet Lieder — 
Steig, Sehnsucht, nieder. 

Die Weide trauert; 
Aus trübem Moor 
Seufzt winddurchschauert 
Ihr Bild hervor. 
Es träumt die Stille — 
Entschlaf, mein Wille. 

Weltfern verklinget 
Der grosse Schmerz 
Und Friede schwinget 
Sich erdenwärts. 
Es glänzt die Runde — 
Der Weihe Stunde. 



75 



Die Iiandsehaft saust vorbei . . . 



Di. 



'ie Landschaft saust vorbei, von stumpfer Scheiben Enge 
Umfasst, und Flächen ziehn in rasendem Gedränge 
Heran mit Wasser, Wald, Getreide, Himmelsgrund, 
Die augenblicks vergehn in jäher Wirbel Schlund ; 
Es zucken aufgereiht die Telcgraphenstangen, 
Und sonderbar verzerrt die Drähte niederhangen. 

Ein Dunst von Kohlenqualm und heissem Wasserdampf, 
Wie schwere Ketten khrrt das hämmernde Gestampf, 
Als schrieen Riesen auf in grausen Folterqualen, 
Die Pfeife schrillt darein mit kreischenden Signalen. 

— Was thut mir alles das, da weiss und wundermild 

Vor meinen Augen schwebt ihr reines Engelsbild, 

Da mich ihr Name grüsst im Halbschlaf und im Wachen, 

Da ihrer Stimme Laut, ihr hohes, helles Lachen 

Als Grundton mich umklingt und durch das Schüttern hallt 

Im rasselnd harten Takt der ehernen Gewalt ! 



Der Liampe sehmaler Sehein . . . 

jLyer Lampe schmaler Schein, das leis durchwärmte Zimmer; 
Es stützt die müde Hand die Schläfe, und im Schimmer 
Geliebter Augen sich der eigne BHck verträumt; 
Behaglich kocht der Thee, das Buch vergessen säumt. 
Das köstliche Gefühl der stillen Abendwende, 
Die süsse Mattigkeit, des bangen Wartens Ende 
Auf das geheime Fest, das dunkle Brautgemach ; 
O all dem Glücke hängt die Seele schwärmend nach 
Ohn Unterlass und wünscht, was lange ihr versprochen, 
Sich aufgestört herbei durch Monde und durch Wochen! 



77 



t^ings das sehmaehtend weiche 
Dehnen . . . 

Ivings das schmachtend weiche Dehnen, 

Das erfüllte Liebessehnen, 

Das durch Waldesschauer zieht, 

In der Winde lauem Lechzen 

Grauer Zweigte leises Ächzen, 

Kleiner Vogelstimmen Lied. 

All das Zwitschern und das Gurren, 
Heller Laute zartes Surren, 
Kosend, wie das Lüftchen pfeift, 
Das sich fängt in weichem Grase, 
Wie in klarer Wellen Glase 
Hörbar fast der Kiesel schleift. 

Sag, o sind es nicht wir Beide, 
Deren Seele, schwer vom Leide, 
Ihre Klage hier verhaucht? 
Die sich löst in tiefer Wehmut 
Und mit Sängen voller Demut 
In den warmen Abend taucht? 



78 



Ich errate ferne, zage Chöre , 

Ich errate ferne, zage Chöre, 
Müde Weisen, die im Schwall verschwimmen, 
Und in lichtem Heben trunkner Stimmen, 
Blasse Liebe, Morgensonnenflöre. 

Und mein Herz und meine Seele scheinen 
Als ein zwiefach Auge zu erzittern, 
Drin belebt von allen Saitengittern 
Sich im Dämmertag die Klänge einen. 

O des Tods Verlassenheit zu sehen, 
Den die jungen und die alten Stunden 
Hergeleiten in verschlungnen Runden 
Und an diesem Taumel zu vergehen! 



79 



Es regnet auf die Stadt 

XLs regnet auf die Stadt, 
Es weint in meinem Herzen, 
Wie fühlt mein Herz sich matt, 
Dass es solch Sehnen hat! 

Der Regen leise singet 
Auf all den grauen Dächern; 
Wie's meiner Seele klinget. 
Wenn leis der Regen singet ! 

Ich kenn' ihn nicht, den Grund, 
Dass es in meinem Herzen 
Zum Weinen krank und wund. 
Mein Leid ist ohne Grund. 

O könnt' ich's doch erfassen. 
Warum mein armes Herz 
Ohne Lieb und Hassen 
So elend und verlassen ! 



So 



Sieh, uns beugt der Sehmerz . . . 

v3ieh, uns beugt der Schmerz, wenn wir nicht Nachsicht 

üben. 
So nur steigen wir aus trauervollem Gestern 
Hin zu lautrem Glück, und wenn es sich will trüben, 
Weinen beide wir, zwei hingegebene Schwestern. 

Lass erlöst uns sein von irdischem Begehren, 

Zärtlich knabenhaft in Reinheit uns erkennen, 

Unsre Seelen ganz von dem Vergangnen kehren. 

Nicht in dumpfer Glut uns Mann und Weib mehr nennen. 

Lass uns Kinder sein, der Mädchen Träume suchen, 

Die da staunend gehn, von allem hingerissen, 

Blass und schlank, verdeckt vom Schatten keuscher Buchen, 

Und doch selber nichts von ihrer Unschuld wissen. 



8i 
Baudelaire-Verlaine, Gedichte. 



Es küsst die sehnnale Hand . . . 

XltS küsst die schmale Hand die weissen Tasten, 
Und rosig grau das Abenddämmern glimmt, 
Indes ein schwaches Lied mit zagem Hasten 
Wie leise Schwingen, ältlich, feingestimmt, 
Sich langsam hebt und im Gemach verschwimmt, 
Drin ihres Leibes süsse Düfte lasten. 



Was soll der Weise sanftes Schlafgebet, 
Was sucht ihr, Klänge, die mich überkamen, 
Die ihr mit kleinen Kinderhänden fleht? 
Was wolltest Du, Gereim, das bald verweht 
Und mählich stirbt, wo eines Fensters Rahmen 
Nach jenem kleinen Gärtchen offen steht r 



82 



O Trauer, Trauer . . . 

V^ Trauer, Trauer in mir bangte, 
Weil mich nach ihr, nach ihr verlangte. 

Denn nirgends Trost ich für mich fand. 
Ob auch mein Herz sich weggewandt, 

Ob auch die Qual, die in mir bangte, 
Das Weib zu fliehen nur verlangte. 

Und nirgends Trost ich für mich fand, 
Ob auch mein Herz sich weggewandt. 

Es sprach mein Herz, allzu empfindlich. 
Zu meiner Seele: Ist's ergründlich, 

Ist's, war es, dieses stolze Leid, 
Die trauernde Verlassenheit? 

Die Seele sprach darauf zum Herzen: 
Versteh ich selber all die Schmerzen, 

Dass noch die Sehnsucht an uns zehrt, 
Uns fern von ihr die Ruhe wehrt? 



S3 




Charlcroi. 

i\ achtgeister kauern 
Im Gras umher, 
Von Thränen schwer 
Die Lüfte schauern. 

Die Halme schwirren 
Im Windeshauch, 
Durch Dorn und Strauch 
Pfadloses Irren. 

Kein Haus giebt Frieden, 
Es keucht die Not, 
In Flammen rot 
Unzährge Schmieden. 

Was seh* ich dort? 
Bahnhallen dröhnen. 
Es sucht mein Sehnen 
Den alten Ort. 



84 



Giftschwangrer Dampf 
Steigt nachtgeboren, 
Es sprengt die Ohren 
All dies Gestampf. 

Du Thal der Plagen, 
So dumpf und heiss, 
Voll Menschensch weiss 
Die Hämmer schlagen, 

Nachtgeister kauern 
Im Gras umher, 
Von Thränen schwer 
Die Lüfte schauem. 



«s 



Brüssel. 

Jtvosigfahl und grün enteilen 
Langgestreckte Högelrampen, 
Wo die schwälend matten Lampen 
Blassen Xebeldunst zerteilen. 

Auf den flachen Wiesenhängen 
Liegen blutig goldne Säume; 
Niedre, abgestumpfte Bäume, 
Vögel mit verlornen Klängen. 

Kaum dass meine Trauer achtet 
Auf die welken Herbsteszeichen, 
All mein müdes Sehnen schmachtet. 
Trag um mich die Lüfte streichen. 



86 



Streets. 

I. 



N., 



I Uli tanzt die Gigue! 
Ich liebte ihrer Augen Paar, 
Wie Himmelsterne licht und klar, 
Das ihrer Tücke Spiegel war. 

Nun tanzt die Gigue! 
Ich habe alles Weh verspürt. 
Seit mich ihr falscher Reiz gerührt 
Und sie mich Armen irrgeführt! 

Nun tanzt die Gigue I 

Doch finde ich noch mehr Genuss 

An ihrer Blütenlippen Kuss, 

Seit sie mein Herz vergessen muss. 

Nun tanzt die Gigue I 
Ich denke dran, ich denke dran. 
An jener Stunden süssen Bann, 
Das höchste Gut, das ich gewann. — 
Nun tanzt die Gigue! 

Soho. 



87 



II. 

JlLs schleppt der Bach sich durch die Gassen, 

Und jäh aus düstrer Wände Massen 

Gespenstisch tritt er an das Licht. 

Er kommt mit dunklen, reinen Wogen 

Durch Vorstadtruhe hergezogen, 

Sein Murmeln nie die Stille bricht. 

Die Strasse ist ein breiter Streifen, 

Vom toten Bache Dünste schweifen 

Und hoffnungslose Nebel wehn, 

Auch dann, wenn in den heitren Frühen 

Die ersten roten Schleier glühen, 

Wo gelb und schwarz die Häuschen stehn. 

Paddington. 



^ 



88 



Erleuchtet war der Tag . . 

XLrleuchtet war der Tag von gleissend falschem Glücke, 
Nun sinkt die Sonne hin in schmutzig rotem Gold. 
O schliesst euch, Augen, dem, was ihr nicht schauen sollt : 
In dieser Stunde naht euch des Versuchers Tücke. 

Im Wetter prasselten herab die Hagelstücke, 
Zerstört ist Wein und Saat, von Schlössen überrollt. 
Der Himmel ist zerfetzt, der dumpf erschauernd grollt, 
Verdüstert ist sein Blau, und keines Bogens Brücke. 

Erblasse, heb dich weg und rufe Gottes Huldl 

Wenn sie Dich heimbegehrt, die längst gebüsste Schuld? 

Wenn noch der alte Wahn vernichtend Dich entsetzte? 

So steigt das Tote auf aus des Vergessens Nacht? 
Ein Fieberanfall ist's, der Dich durchrast, der letzte I 
O flehe, fleh' zu Gott um Schutz vor Sturmesmacht 1 



^ 



89 




ISlun hört des Liiedes sanftes 
liallcn . . 

i\l un hört des Liedes sanftes Lallen, 
Das euch umwirbt mit zagem Weinen, 
Wie auf den moosbegrünten Steinen 
Des Baches leis verschwiegnes Wallen. 

Die Stimme hat euch oft gesungen, 
Nun muss sie euch mit Leid erfüllen, 
Wie eine Witwe sich verhüllen, 
Die doch vom Schmerze nicht bezwungen. 

Und wie die Schleier faltig winken. 
Die in den Herbstesstürmen raunen, 
Lässt sie vor eures Herzens Staunen 
Den milden Stern der Wahrheit blinken. 



QO 



Sie sagt, die einst entschwundne Stiiuinc. 
Dass nur die Güte unserm Leben 
Das letzte Heil vermag zu geben 
Nach all dem Hassen, all dem Grimme. 

Auch redet sie zu euch vom Ruhme, 
In Demut fromm zu sein hienieden, 
Sie spricht vom kampflos stillen Frieden, 
Von goldner Hochzeit Heiligtume. 

Verschmäht sie nicht, kommt ihr entgegen, 
Wenn sie euch bräutlich möchte laden! 
O nichts ist so voll Liebessegen 
Als eine Seele zu begnaden. 

Vielleicht muss sie schon bald von hinnen, 
Doch froh ist sie in Gramesschwere, 
Und, ach, wie schlicht ist ihre Lehre I — ■ 
O lasset euch für sie gewinnen. 



Die lieben Hände 



Di, 



'ie lieben Hände, die ich presste, 
So klein und schön, in fernen Jahren - 
Nach all den tötlichen Gefahren, 
Dem heidnisch gottverlassnen Feste, 

Den Häfen all, dem Dünensande, 
Den Städten, die mit engen Mauern 
Um alte Königszeiten trauern • - 
Sie öffnen mir verklärte Lande. 

Ihr weichen Sehnsuchtshände, wüsste 
Ich doch die Kunde, die ihr brachtet 
Im Lärm der frevelhaften Lüste 
Für meine Seele, die verschmachtet! 

O lügt sie, meine Traumerscheinung, 
Du mir im Geiste Anverwandte, 
Dass ich dich wesensgleich erkannte 
Mit mir in ewig grosser Einung? 

O Reue, die mich straft und tröstet, 
Ihr Träume mit verehrten Weihen, 
Ihr Hände, die ihr mich erlöstet, 
O schenkt mir, Hände, das Verzeihen! 



92 



O Gott, du schufst mir deiner 
laebe Qual . . 

V^ Gott, du schufst mir deiner Liebe Qual, 
Und meine Wunde zuckt in irren Schmerzen, 
O Gott, du schufst mir deiner Liebe Qual. 

O Gott, mich traf das Wetter deiner Furcht, 
Und noch erzischt das aufgedeckte Brandmal, 
O Gott, mich traf das Wetter deiner Furcht. 

O Gott, ich sah, dass alles nichtig ist, 

Und Wohnung nahm dein Ruhm in meinem Leibe, 

O Gott, ich sah, dass alles nichtig ist. 

Ertränke du in deines Weines Flut 

Mein Leben, schmilz es hin in deinem Brote, 

Ertränke es in deines Weines Flut. 

Hier nimm mein Blut, das ich dir nicht vergoss. 
Nimm hin mein Fleisch, unwert für dich zu leiden. 
Hier nimm mein Blut, das ich dir nicht vergoss. 

Hier meine Stirn, die nur erröten konnte, 
Zum Schemel der gebenedeiten Füsse, 
Hier meine Stirn, die nur erröten konnte. 

Hier meine Hände, die der Arbeit fremd. 
Zu Kohlengluten und zu seltnem Weihrauch, 
Hier meine Hände, die der Arbeit fremd. 



93 



Hi':r nimm mein Herz, da- doch verffebens schl'i^, 

Ijt-'. es a'if Golgatha zerri^Ten sterben. 

Hier nimm mein Herz, das doch verg^ebens schlug. 

Hier meine Füäse, müd vora Freveläpfad, 
O r ife sie mit deiner Goaclen«timme, 
Hier meine Fii^ie» mid vom Frevelspfad. 

Hier meiner Stimme lügDeri^chen Klan^. 
Zu dij«irer Reue mahnenden Gebeten, 
Hier meiner .Stimme iQ^erischen Klan^. 

Hier meiner Augen trüben Irrlichtschein, 
Kr*ticki von schweren Thränen lass sie sterben. 
Hier meiner Augen trüben Irrlichtschein. 

Weh du, der Liebe und der Gnade Gott. 
Wie ist mein Undank tief und unermessen, 
Weh du, der Liebe und der Gnade Gott. 

Weh, fiütt de.s Schreckens und der Heihgkeil, 

Wie histet auf mir meine ganze Sünde, 

Weh, Gott des Schrecken» und der Heihgkcit. 

Du Gott des Friedens und des hebten Glücks, 
All meine Furcht und all mein zages Straucheln, 
Du Gott des Friedens und des lichten Glücks, 

Dir iht das alles, alles wohlbekannt, 
Weil das Geheimste deine Macht erriete. 
Dir ist das alles, alles wohlbekannt, 

So nimm, mein Gott, was ich in Armut biete. 



<i4 



Es sprach mein Gott zu mir . . 

I. 

JC^s sprach mein Gott zu mir: Du musst mich lieben, Sohn. 
Du fühlst den wunden Leib, des roten Herzbluts Süsse 
Und lau vom Thränenstrom die wegesmatten Füsse, 
Die Magdalenens Kuss erlöst von Schmerz und Hohn. 

Und meine Arme, weh für deiner Sünde Lohn, 

Mein Kreuz, den Gallenschwamm, die Marter, die ich büsse, 

Und alles hebt dich auf zu mir, der ich dich grüsse. 

Zu meinem Blut und Fleisch, zu meines Wortes Thron. 

Hab ich dich nicht geliebt bis in des Todes Schauer, 
Du meines Vaters Kind, mein Sohn im heiigen Geist, 
Und duldete ich nicht, wie es in Schriften heisst? 

Hab ich sie nicht geschluchzt, all deine bängste Trauer, 
Und nicht in heisser Nacht mit dir, mein Freund, verzagt, 
Und willst du niemals sehn, wie meine Liebe klagt? 



05 



II. 



Ich 



gab zur Antwort: Herr, du sagtest meine Seele. 
Fürwahr, ich suche dich und finde dich nicht mehr. 
Ich soll dich lieben? Dich, der du so göttlich hehr. 
Vor dessen Flammenpracht ich mich in Schwäche hehle ? 

Du Quell, nach dem verlangt im Friedensdurst die Kehle, 
O sieh, ich bin so müd der armen Gegenwehr, 
Und soll auf meinen Knieen, entweiht und taumelschwer, 
Anbeten deine Spur, du Hoher sonder Fehle? 

Und doch, ich suche dich auf ungewisser Bahn. 

Ich möchte, dass in Schmach dein Schatten mich verhülle, 

Doch du bist schattenlos in deiner Liebe Fülle. 

O du mein sanfter Quell, nur denen herber Wahn, 
Die in Verdammnis gehn, o deines Lichtes Gnaden, 
Allein den Augen fremd, die dumpf und kussbeladen! 



96 



III. 



Do 



'u musst mich lieben, Kind. Ich bin des Weltalls Kiiss, 
Ich der beladne BHck, und meine Lippen beben. 
Wie du gesagt, in mir die kranken Gluten leben, 
Die dich verzehren. Ich und immer ichl Man muss 

Mich lieben wollen. Ja, in pfeilesschnellem Schuss 
Wird meine Liebe hoch zu Felsenöden schweben 
Und dich mit Adlcrskraft als ihre Beute heben 
Zu duftgen Wiesen, frisch in hellem Tauesgussl 

O meine helle Nacht und deiner Augen Schinnncr, 
O unsrer Hochzeit Bett und trunkncs Lichtgeflimmer, 
O alle Unschuld, all die hohe Schlummerstatt I 

So liebe michl Und lass dies letzte Wort dich lehren, 
Du weisst, dass wohl dein Gott die Macht zum Zwingen hat. 
Doch will ich nur die Macht, für mich dich zu begehren. 



97 
Baudelaire-Verlaine, Gediohte. 



wie Stroh in feuehtem Stall . . . 

W ie Stroh in feuchtem Stall fernher der HotTnung Blinken. 
Macht dir die Wespe Ang^st, von ihrem Flug betäubt? 
Siehst du, dass immer noch die heisse Sonne stäubt! 
Was schliefest du nicht ein, g^estützt von deiner Linken? 

Bleiche Seele, nimm aus kühlem Brunnenschacht 

Dies Wasser. Schlafe! sieh, ich will auch ganz verstummen. 

Und du sollst eingewiegt in leise Träume summen 

So wie ein Kind, bei dem besorgt die Mutter wacht. 

's ist Mittag schon. Madame, vei lassen Sie ihn, bitte. 
Er schläft. Wie seltsam schwer die harten Frauenschritte 
Nachklingen im Gehirn dem armen, kranken Mann. 

's ist Mittag schon. Ich liess den Boden übergiessen. 

So schlaf. Die Hoffnung blinkt wie glatter Stein. O wann, 

Septemberrosen, wollt ihr wieder euch erschli essen .^ 



98 



Kaspar Hauser singt. 

Ich kam verwaist und ohne Lug 
Zur grossen Stadt mit stillen Augen, 
Ob ich den Leuten mochte taugen: 
Sie fanden mich nicht schlecht genug. 

Und als ich zwanzig Jahre alt, 
Trieb mich ein sonderbares Grauen, 
Man nennt es Liebe, zu den Frauen: 
Sie fanden, ich sei ungestalt. 

Ein Heimatloser nahm ich Sold 
Und liess mich für den König werben. 
Ich wollte dort im Kriege sterben: 
Der Tod, er hat mich nicht gewollt. 

O lebe ich zu früh, zu spät? 
Was soll ich in der Welt beginnen? 
Mein Alles muss in Pein verrinnen; 
O sprecht für Kaspar ein Gebet I 



99 



Sehwarze Traumeslast 

*5chwarze Traumeslast 
Senkt sich auf mein Leben: 
Schlaf in Todesrast, 
Schlafe, all mein Streben I 

Gut und Böse schwand. 
Das mich einst besessen, 
Nichts ist mir bekannt . . 
Trauen^oU Vergessen. 

Eine Stimme sacht 
Mich in Schlummer wieget: 
Still, o still die Nacht, 
Dunkel auf mir lieget. 



Es ruhen Icuehtcnd überm Daeh 



XLs ruhen leuchtend überm Dach 

Des Himmels Weiten, 
Durch Baumeswipfel überm Dach 

Die Winde gleiten. 
Die Glocke in die Lüfte tönt 

Mit leisem Schlage, 
Und aus des Baumes Aesten tönt 

Des Vogels Klage. 
Fern atmet sie, die grosse Stadt, 

So schlicht ihr Leben, 
Gedämpfte Stimmen von der Stadt 

Herüberschweben. 
O sag mir deiner Seele Not, 

Der du in Thränen, 
O sag, wo blieb in deiner Not 

Dein Jugendsehnen? 



Wüsst ieh nur, warum . . 

W üsst ich nur, warum 

Mein vergrämter Geist 
Stets auf unruhvollen Schwingen über Meere kreist 

Zu den Fluten reisst 

Im Entsetzen stumm 
Meine Liebe alles, was ihr wert: Warum, warum r 

Wie die Möve auf den Wogenkämmen 
Schwermutsvoll muss meine Seele fliegen 
Und sich vor den Himmelsstürmen wiegen, 
Wenn sie Sturzseelasten überschwemmen. 
Wie die Möve auf den Wogenkämmen. 

Hin zum Sonnenglanz 

Und zur Seligkeit 
Führt ein trunknes Ahnen sie durch die Unendlichkeit. 

Und es tragen weit 

Auf des Schaumes Kranz 
Laue Winde sie durch goldnes Licht im Schlummertanz 

Traurig schreiend irrt sie auf und nieder, 
Dass die Klänge den Piloten schrecken. 
Und enttaucht den Wellen, die sie decken. 
Müde mit gebrochenem Gefieder, 
Lauter schreiend irrt sie auf und nieder. 



Wüsst ich nur, warum 

Mein vergrämter Geist 
Stets auf unruhvollen Schwingen über Meere kreist. 

Zu den Fluten reisst 

Im Entsetzen stumm 
Meine Liebe alles was ihr wert. Warum, warum ? 



103 



Zum Waldessaum des Horncs 
laufen gellt . . 

£^wm Waldessaum des Hornes Rufen gellt 
Wie eines Kindes Schmerz, das alle meiden. 
Am Hügelrande sterben seine Leiden, 
Und rauh der Wind in kurzen Stössen bellt. 

So heult des Wolfes Seele durch das Feld, 
Das letzte Strahlen zögernd noch umkleiden, 
Bis zu des Tages loderndem Verscheiden, 
Und ihre Brunst erwärmt die matte Welt. 

Indessen sinkt der Schnee in Watteflocken, 
Und sacht verhallend fern die Klänge stocken 
Im blutig roten Abendsonnenschein. 

Ein Seufzer tlurch die schlaffen Lüfte zieht. 
Getragen klingt des Herbstes dumpfes Lied, 
Die Landschaft träumt und schlummert mählich ein. 



104 



Da seid, Gedanken, ihr . . 

JL^a seid, Gedanken, ihr in armen, guten Scharen, 

Die ihr das Heil bereut, das ihr umsonst erfahren, 

Ein hoffend ernster Geist, zur Milde leicht gerührt. 

Und Ruhe, Wachsamkeit, wie sie sich euch gebührt, 

Ihr alle! — Langsam noch, zwar mit erwachten Sinnen, 

In Zuversicht, doch zag, so seh ich euch entrinnen 

Dem lauen, schweren Traum, der Nacht, die euch umfliesst. 

Der ganz zur Linken geht, der führt euch Daran schliesst 

Sich eng der Zug und scheut den Mond mit bangem Zittern, 

Gehäuft, wie Schafe ziehn zur Weide aus den Gittern, 

Erst eins, dann zwei, dann drei. Die andern stehn gedrückt 

Mit Mienen schüchtern, blöd, und thun, den Kopf gebückt. 

Was vorn der Führer macht; sie bleiben stehn und harren, 

Sobald er stehen bleibt, und ihre Augen starren 

Gebeugt an ihm vorbei und fragen nicht, was wird. 

Ihr meine Schafe all, nicht ich bin euer Hirt, 

Ein bessrcr, bessrer ist's mit richtenden Gewalten, 

In dessen Hürde ihr so lange ward gehalten. 

Doch hat er euch befreit, als eure Zeit genaht. 

Ihm folgt, sein Stab ist gut. Ich will auf eurem Pfad 

Bei seiner Stimme Ton, wenn ihr in Traurigkeiten 

Mit Blöken ihn umdrängt, als Hund ihn treu begleiten. 




P i c r r o t. 

JL^as ist der Mondscheinnarr der alten Lieder nicht, 
Des helles Lachen uns von Thürgemälden packte. 
Ach, all sein Witz ward stumpf, der Kerze Docht verflackte. 
Nur sein Gespenst geht um mit irrem Angstgesicht. 

Und seht, wie jetzt im Wind des Blitzes krankes Licht 
Ein weisses Leichentuch ihm schlotternd rings um nackte, 
Erfrome Glieder goss, und wie der Mund sich zackte, 
Als ob sein heulend Fleisch der Todeswurm zersticht. 

Mit weissen Aermeln giebt er rätselhafte Zeichen, 

Dass sie wie Vogelflug durch Nacht und Nebel streichen, 

Und nicht ein Einz'ger hält ihn einer Antwort wert. 

In seinen Augen kriecht ein grüner Phosphorfunken, 
Die Wangen überschminkt und grässlich eingesunken, 
Aus spitzen Knochen ragt die Nase blutentleert. 



io6 



Verfall. 



Ich bin das Kaiserreich an des Verfalles Ziele, 
Das matt den Heereszug^ der blonden Völker schaut, 
Und das mit schmaler Hand gezierte Verse baut. 
Worauf die Sonne tanzt, in trägem, goldnem Stile. 

Die Seele, übersatt der künstlich armen Spiele, 
Vernimmt von fernem Kampf und gellem Siegeslaut, 
Und sehnt mit schwachem Wunsch, der selber sich misstraut, 
Dass endlich in ihr Sein des Lebens Stimme fiele I 

O dass er niemals kommt, der halb erbetne Tod I 

Der Kelch ist leer ! Bathyll, verlerntest du das Lachen ? 

Ah, so als müder Gast bei ödem Mahl zu wachen! 

Nur noch ein fad Gedicht, das schnell im Herd verloht. 
Nur eines Sklaven bald verziehne Liebeslaunen 
Und unabwendbar stets der langen Weile Raunen! 



107 



Prolog. 



Da 



"as sind des Dämmerns Spukgebilde 
Und Träume vor dem Morgengrau, 
O Wahrheit, du erhellst sie milde 
In unbeständig wirrer Schau, 

So bleich in hassenswertem Dunkel, 
Dass noch ein Zweifel sich befragt, 
Ob nur des Mondes Lichtgefunkel 
Durch schwanke Baumesschatten klagt, 

Ob etwa mürrisch bald der Reigen 
Sich körperlichen Umriss leiht — 
Und die Gespenster aufwärts steigen 
Zu der verklärten Herrlichkeit 

Des grossen Alles und der Sonne, 
Die froh dem Menschen Kunde bringt. 
Der Gottversenkung reine Wonne, 
Die durch den blauen Himmel singt. 



loS 



Ein Witwer sprieht. 

V-Jestalten seh ich auf dem Meer. 
Es ist das Meer von meinen Thränen, 
Und meine Augen trüb und schwer 
In dieses nächtgen Dunkels Gähnen, 
Sie sind zwei Sterne auf dem Meer. 

Es ist ein Weib mit seinem Kinde, 
Allein in ruderlosem Boot, 
So treiben sie dahin im Winde, 
Aus Stromestiefen starrt der Tod, 
Ein junges Weib mit seinem Kinde. 

Es rast entfesselt der Orkan, 
Der Knabe hält das Weib umschlungen, 
Schon sieht sie das Verderben nahn, 
Und hofft nur, sinnlos hingezwungen. 
Auf den entfesselten Orkan. 

Vertraut auf Gottes Huld, ihr Armen, 
Glaub an den Vater dort, mein Kind, 
Der wird mit seinem Allerbarmen 
Gebieten über Strom und Wind, 
Die Stürme legen sich, ihr Armen. 

Und Friede sei euch auf dem Meer, 
Auf jenem Meer von guten Thränen, 
Und meine Augen licht und hehr 
In einer Nacht ohn dunkles Gähnen, 
Sie sind zwei Engel auf dem Meer. 



109 



Fürwahr, mein Üngemaeh ist gross . 

r ürwahr, mein Ungemach ist gross I 
Bin wie ein Wolfstier, friedelos, 
Verfolgt, der Jagd gewisse Beute, 
Aus warmer Ruhstatt aufgeschreckt, 
Bis es in Sprüngen toll verreckt. 
Zerfleischt von einer ganzen Meute. 

Es haben Missgunst, Hass und Geld 
Mich aufgespürt und rings umstellt, 
Erprobte Hunde. Und das dauert 
Seit Monden, ewig schon es währt. 
Nur Angst und Not den Hunger nährt 
Mit harter Kost, vor der mich schauert! 

Doch dann erreicht mich das Geschick 

Im Heimatswald, und mein Genick 

Durchgräbt der Tod in wildem Krämpfe. 

Des Todes scharfe Klaue reisst 

Den Halberstorbnen hin, zerbeisst 

Mein Herz und setzt kein Ziel dem Kampfe! 

Ich schleppe blutig, schmerzdurchwühlt, 

Zum Giessbach, der das Brennen kühlt, 

Die roten Spuren meines Leibes. 

Gewährt ihr mir das Sterben nicht? 

O lasst mich, der zusammenbricht, 

Ihr Wölfe, doch der Wut des Weibes! . . 



leh bin in Liiebe krank 



Ich bia in Liebe krank, mein Herz ist so verirrt. 

Wenn irgend wo einmal ein matter Schimmer flirrt, 

Und wann es immer sei, von Schönheit, Reinheit, Leben, 

Es stürzt ihm trunken nach, sich ganz ihm hinzugeben, 

Und hundertfach umarmt es in Genusseshast 

Das Wesen und das Ding, das seine Inbrunst fasst. 

Doch wenn des Flügels Kraft zerbrach die müde Reue, 

So kehrt es traurig um, vereinsamt, doch in Treue, 

Den Undankbaren lässt es Fleisch und Blut zurück. 

Dann sucht es Trost im Schmerz und eilt zu fernem Glück, 

Das sich ihm stets versagt, zu seiner Träume Wähnen, 

Und bringt nichts andres heim als heisse, bittre Thränen, 

Die seine Sehnsucht schlürft, und schnell vergessnen Gram. 

Dann bricht es wieder auf. — — — — — — — — — 



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U.C.BERKELEY LIBRARIES 




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